Giorgione (1478-1510)


Giorgione bedeutet «grosser Giorgio». Diesen Ehrennamen hat man ihm verpasst, weil er einen grossen Einfluss auf die venezianische Kunst des 16. Jahrhunderts hatte. So gross, dass Kunsthistoriker sogar von einem «Giorgionismus» sprechen.

 

Seine künstlerischen Innovationen beziehen sich auf neuartige Porträts, die nicht nur das Äussere, sondern auch den Charakter der Porträtierten abbilden. Und in der Landschaftmalerei setzt er neue Impulse: Die Landschaften bekommen durch Giorgione jetzt eine bildtragende Bedeutung.

 

 

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Giorgione (1478-1510). Selbstportrait
als David, 1508. Herzog Anton Ulrich
Museum Brunswick.

 

 

Über das Leben des Giorgio da Castelfranco, wie sein ganzer Name lautet, ist nur wenig bekannt. Giorgione kommt 1478 in Castelfranco zur Welt, etwa vierzig Kilometer nördlich von Venedig.

 

Wie der Kunsthistoriker >Vasari (1511-1574) berichtet, wächst Giorgione in bescheidenen Verhältnissen auf.

Er wird ein Schüler des Venezianers >Giovanni Bellini. Giorgione soll so talentiert gewesen sein, dass er seinen Lehrmeister schon bald übertroffen habe.

 

Zu seinen Mitschülern gehört auch >Tizian. Mit ihm arbeitet er eng zusammen. Die beiden Talente entwickeln unter Bellini einen Malstil, der sich so ähnelt, dass bis zum heutigen Tag nie ganz sicher ist, welche Bilder Giorgione und welche Tizian zugeschrieben werden sollen. Zumal nach seinem frühen Tod 1510 Tizian einige seiner Werke vollendet haben soll.

 

 

 

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Abendlandschaft mit Figurenpaar. Von Giorgione?

Oder von Tizian? Oder nur aus dem Umkreis von
Giorgione? Dieses Gemälde im Kunsthaus Zürich
gibt zu Diskussionen Anlass >mehr

 

 

 

Nur wenige Werke konnten Giorgione mit Sicherheit zugeordnet werden. Die Diskussionen darüber halten bis in die heutige Zeit an. Als älteste Quelle gelten Aufzeichnungen, die der venezianische Kunsthistoriker und Sammler Marcantonio Michiel hinterlassen hat, und solche von >Giorgio Vasari.

 

Nach der Lehre in Bellinis Werkstatt in Venedig kehrt Giorgione in seine Heimatstadt Castelfranco zurück. Dort erstellt er im Auftrag des Condottiere Tuzio Costanzo das Altarbild «Madonna mit den Heiligen Franziskus und Nicasius», bekannt als Pala di Castelfranco.

 

Ab 1505 ist er wieder in Venedig tätig und führt dort Fresken an Häuserfassaden aus (nicht mehr erhalten). 1508 erhält er vom Salzamt den Auftrag für eine Fassade am Fondaco dei Tedeschi am Canal Grande (davon sind noch Fragmente in der Ca'd'Oro und in Saltwood Castle, Kent, erhalten). An diesem Werk soll auch Tizian beteiligt gewesen sein – wie es heisst «unter der Leitung von Giorgione».

 

Giorgiones malerische Laufbahn dauert nur etwa fünfzehn Jahre. Er stirbt 1510 in Venedig an der Pest – da ist er noch keine 32 Jahre alt.

 

In seiner Geburtsstadt Castelfranco Veneto befinden sich ein Denkmal aus dem Jahr 1878 und das Museo Casa di Giorgione.

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Giorgione (1478-1510).

Venere dormiente, 1508.

Gemäldegalerie Alte Meister Dresden.

 

 

 

 

 

Venezianische Künstler 16. Jht.

 

 

>Giovanni Bellini (1430-1516)

 

>Giorgione (1478-1510)

 

>Jacopo Palma d.Ä. (1480-1528)

 

>Tizian (1490-1576)

 

>Paris Bordone (1500-1571)

 

>Jacopo Tintoretto (1518-1594)

 

>Paolo Veronese (1528-1588)

 

 

 

 

 

 

 

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Giorgione (1478-1510). Das Gewitter, 1505. Gallerie dell'Accademia, Venezia.

 

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Giorgione (1478-1510). Knabe mit Pfeil, 1505. Kunsthistorisches Museum Wien.

 

Schwierige Zuordnungen

 

Es gibt nur wenige Werke, die mit Sicherheit Giorgione zugeordnet werden können. Er hat seine Arbeiten weder signiert noch datiert. Man ist deshalb bis heute auf Quellen aus dem 16. Jahrhundert angewiesen. Besonders die Abgrenzung von >Tizian ist sehr schwierig, weil dieser wie Giorgione ein Schüler von >Bellini war.

 

Eine Quelle ist der florentiner Maler und Kunsthistoriker >Giorgio Vasari (1511-1574); eine noch wichtigere der venezianische Kunstsammler und -Historiker Marcantonio Michiel. In seinen Notizen von 1525 bis 1543 identifiziert er rund ein Dutzend Gemälde Giorgiones. Darunter sind fünf, die auch dem Urteil moderner Kunstexperten standhalten: Das Gewitter, Knabe mit Pfeil, Die drei Philosophen, Schlafende Venus, und Hirte mit Flöte.

An den «Drei Philosophen» soll allerdings auch noch Sebastiano del Piombo mitgemalt haben, und die Landschaft im Hintergrund der schlafenden Venus – eines von Giorgiones berühmtesten Bildern – soll ein gewisser >Tizian eingefügt haben.

 

Heisst im Klartext: Nur das Gemälde mit dem Gewitter ist von allen Seiten als vollständiger Giorgione anerkannt. Und dazu ein Altarbild für die Kirche von Castelfranco.

 

   

 

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Giorgione (1478-1510). Ritratto di Vecchia, 1506. Gallerie dell'Accademia, Venezia.

 

 

 

 

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Giorgione (1478-1510). Drei Philosophen, 1508-09. Kunsthistorisches Museum Wien.

 

Giorgionismus – was bedeutet das?

 

Nicht genug, dass man ihn den «grossen Giorgio» nannte – die Kunstexperten bescheinigen ihm dazu auch noch einen eigenständigen Malstil, den sie Giorgionismus nennen. Dies aufgrund verschiedener Innovationen bei Porträts und Landschaften. Einige dieser «Innovationen» hat man allerdings schon seinem Lehrmeister >Giovanni Bellini zugeschrieben. Worum geht es?

 

Bei den Porträts attestiert man Giorgione eine neuartige «gefühlvolle, menschlichere» Darstellung, die in der Lage ist, dem Betrachter Seele und Charakter des Porträtierten näher zu bringen.

 

In der Landschaftsmalerei ist er ein Pionier unter den italienischen Malern, weil er die Landschaft nicht mehr nur als Kulisse für Figuren verwendet, sondern ihr eine bildtragende Bedeutung beimisst. Man sieht in Giorgione den Begründer eines eigenständigen Genres: der Landschaftsmalerei.

 

In der Maltechnik bezeichnet man ihn als Vorreiter beim Umstieg von der tradtionellen Temperamalerei (Eitempera) zu den modernen Ölfarben.

 

Nur: Gab es da nicht einen Künstler namens >Antonello da Messina (1430-1479), der schon fünfzig Jahre früher die aus den Niederlanden stammende Ölmalerei in Italien zu verbreiten begann und populär machte?

 

 

   

 

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Giorgione (1478-1510). Venere dormiente, 1508. Gemäldegalerie Alte Meister Dresden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Tizian (1490-1576). Venus of Urbino, 1538. Galleria degli Uffizi, Firenze.

 

Die geheimnisvolle schlafende Venus

 

Innovativ an diesem Akt ist vor allem die Einfügung einer Naturlandschaft als Rahmen. Aber auch die Darstellung einer Venus mit geschlossenen Augen, schlafend. Das macht sie noch geheimnisvoller.

 

Der Kunstsammler und Kunsthistoriker Marcantonio Michiel (1484-1552) hält in seinen Aufzeichnungen fest, dass Giorgione dieses Werk unvollendet liess, und dass die Landschaft nach seinem Tod durch >Tizian fertiggestellt wurde. Tizian habe sie zudem noch mit einer Figur des Amors versehen. Diese wurde bei einer späteren Restaurierung allerdings wieder entfernt.

 

PS: Die «Schlafende Venus» galt lange als ein Werk Tizians, bis der Kunsthistoriker Giovanni Morelli (1816-1891) belegen konnte, dass der Urheber Giorgione war.

 

Giorgiones Venus dürfte nicht nur Tizian als Inspiration für seine eigene Venus (Venus von Urbino, 1538) gedient haben, sondern später noch vielen weiteren Künstlern als Vorlage, so zum Beispiel auch >Paris Bordone.

 

 

 

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Giorgione (1478-1510). Junge Frau (Laura), 1506. Kunsthistorisches Museum Wien.

 

Laura – das einzige Werk mit Datum

 

Keines von Giorgiones Gemälden ist signiert und nur eines trägt ein Datum: Das Porträt einer jungen Frau, Laura. Das Datum – der 1. Juni 1506 – ist auf der Rückseite des Bildes angebracht. Doch auch hier sind Zweifel aufgetaucht: Die Experten sind sich nicht einig, ob die Schrift aus der Hand des Künstlers stammt. Gesichert ist immerhin, dass es mit der Zeit überein stimmt.

 

Laura gilt als eines der ersten Porträts, das auf «moderne Weise» gemalt wurde und sich durch Würde und eine raffinierte Charakterisierung auszeichnet.

 

 

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Giorgione (1478-1510). Judith mit dem Kopf des Holofernes, 1504. Hermitage Museum St. Petersburg.

 

Judith mit dem Kopf des Holofernes.

 

An diesem lyrischen Gemälde mit biblischem Hintergrund lässt sich die «Innovation» des Giorgione bei Porträts besonders gut erkennen.

 

Als Erster malt er die biblische Mörderin nicht als solche, sondern zeigt sie in geradezu poetischer Atmosphäre. Lieblich, anmutig, in einem romantischen Morgenlicht. Nicht einmal der abgeschlagene Kopf des Holofernes kann die Stimmung trüben.

 

Die Geschichte der Judith stammt aus dem Alten Testament und wird im Buch Judit beschrieben. Sie handelt von einer Frau, die ins feindliche Lager eindringt, den Kommandanten Holofernes verführt und ihm den Kopf abschlägt. Giorgione macht daraus ein lyrisch-poetisches Werk.

 

>mehr über Judith und Holofernes

 

 

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Fotos / Diashow

 

 

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