Museum für Moderne Kunst
Saarbrücken


Wer würde in diesem Grenzgebiet zwischen
Deutschland und Frankreich ein so grossartiges und reich dotiertes Museum für moderne Kunst erwarten! In Saarbrücken gab es schon während der Weimarer-Zeit (1918-1933) ein Museum für Moderne Kunst. Aber aus diesem hatten die Nazis die meisten Werke entfernen lassen – als «entartet».

 

>mehr über entartete Kunst

 

1978 konnte dann ein ganz neues Museum eröffnet werden. Moderne Kunst in modernen, hellen Räumen. Zunächst bestand es aus drei grosszügig dimensionierten Pavillons, 2017 kam ein vierter Pavillon dazu.

 

 

Museum für Moderne Kunst, Saarbrücken.

 

 

Das «Saarlandmuseum Moderne Galerie» zeigt Werke vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Besonders stark vertreten sind die Werkgruppen der Berliner Expressionisten und – Überraschung! – eine umfassende Sammlung des ukrainisch-amerikanischen Bildhauers Alexander Archipenko. Eine wahrhaft >sensationelle Kollektion, über die das Saarbrücker Museum verfügt.

 

 

Alexander Archipenko (1887-1964) – einer der
Stars im Saarlandmuseum Saarbrücken.

 

 

 

Alexander Archipenko (1887-1964). Stehende
Frau, ihr Haar kämmend, 1915. Museum für
Moderne Kunst Saarbrücken.

 

 

 

 

Das Saarland –

mal deutsch, mal französisch

 

Das Saargebiet hat eine hoch komplexe Geschichte
zwischen Frankreich und Deutschland hinter sich. Bis zur französischen Revolution 1789 gehörte Saarbrücken zum Herzogtum Lothringen. Unter >Napoleon wurde die Stadt von Frankreich annektiert und Teil des französischen Departements Moselle. Als dann 1815 Napoleons Zeit abgelaufen war (zuerst seine Niederlage in Russland und dann besiegt von den Alliierten mit Verbannung des Kaisers auf St. Helena) kam Saarbrücken wieder zu Preussen. Diese siegten dann im Krieg gegen >Kaiser Napoleon III im Jahr 1871 und Deutschland wurde zu einer Nation zusammengefügt.

 

Den nächsten Krieg verloren die Deutschen aber
(den Ersten Weltkrieg von 1914-1918) und nach dem Friedensvertrag von Versailles 1919 wurde das Saargebiet unter das Mandat des neu gegründeten Völkerbundes gestellt. Saarbrücken bekam eine internationale Verwaltung.

 

Dann kamen 1933 die Nazis an die Macht. Nach einem Referendum wurde das Saarland ab 1935 wieder Teil Deutschlands – unter der Kontrolle des NS-Regimes. 1940-44 geriet dann halb Frankreich unter Kontrolle der Nazis, aber schliesslich vertrieben die Allierten die Deutschen wieder.

 

Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg wurde das Saarland von den Alliierten besetzt und 1947 zum autonomen Gebiet unter französischem Protektorat erklärt. Saarbrücken war Teil dieses Gebiets. Doch 1957 gab es erneut ein Referendum – und das Saarland wurde wieder deutsch und Saarbrücken Teil der Bundesrepublik Deutschland. Bis heute.

 

 

 

 

Titelbild

Ernst Barlach (1870-1938).
Der Rächer, 1914. Museum für
Moderne Kunst Saarbrücken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Max Beckmann (1884-1950). Zwei Damen am Fenster, 1928.

 

Max Pechstein (1881-1955). Abfahrt, 1917.

 

Lovis Corinth (1858-1925). Matinée, 1905.

 

Rund um die Berliner Szessionisten

 

Das Museum ist hervorragend dortiert mit Werken, die der Berliner Secession zuzurechnen sind. Da gibt es alles zu sehen: Von Beckmann, Corinth, Pechstein und Liebermann bis zu Kirchner, Slevogt und Barlach – alles in hellen Räumen wunderbar präsentiert und gut beschriftet.

 

Nur: Welcher der Secessionen gehörten diese Künstler an? Ganz schön kompliziert. Die erste kam 1898 zustande, Präsident >Max Liebermann. Sie zählte auf ihrem Höhepunkt fast hundert Mitglieder. Aber dann gab es Streit. Der erklärte Impressionist Liebermann verkrachte sich mit dem Expressionisten >Emil Nolde. Dieser wurde aus der Gruppe ausgeschlossen und Liebermann trat als Präsident zurück.

 

Nun bildete sich eine neue Gruppe, diesmal aus nur Expressionisten. Das war 1910, sie nannte sich «Neue Secession», ihr Präsident >Lovis Corinth.

 

1914 kam es dann zur Gründung der «Freien Secession». Führender Kopf war (erneut) der «Malerfürst» Max Liebermann, der dann auch zum Ehrenpräsidenten gewählt wurde. Moderate Expressionisten wurden jetzt auch von Liebermann geduldet. Die Freie Secession überlebte den Ersten Weltkrieg und und richtete Ausstellungen bis 1923 aus.

 

>mehr über die Berliner Secessionen

 

 

 

Charles Camoin (1879-1965). Les calaques de Piana, 1906.

 

Erich Heckel (1883-1970). Häuser im Schonergrund, Dresden, 1909.

 

Franz Marc (1880-1916). Blaues Pferdchen, 1912.

 

Deutsche und französische Expressionisten

 

Geht der Expressionismus von Frankreich oder von Deutschland aus? Er entsteht fast gleichzeitig, und zwar in Paris und Dresden: etwa ums Jahr 1905.

 

In Paris sind es >André Derain, Charles Camoin und >Maurice de Vlaminck. Das wilde Farbenspektakel, das diese drei am Salon d'Automne 1905 zeigen, löst einen Skandal aus. Es erinnert an die urtümlichen Schöpfungen primitiver Kunst.

 

Bei der Dresdner Künstlergruppe >Brücke, die von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff im selben Jahr (1905) gegründet wird, sind ähnliche Tendenzen zu erkennen: man sucht auch hier die Rückkehr zum «primitiven» Ursprung.

 

Dieser Elan findet sich auch bei den deutschen und russischen Künstlern der Gruppe >Der Blaue Reiter wieder. Die in München gegründete Bewegung, deren Mitglieder eine Zeit lang in Paris gelebt haben, strebt nach einer sich «vom Geistigen nährenden Kunst».

 

Die alte Muster einreissenden neuen Wilden wollen nur eines: «Vorwärts um jeden Preis, wie ein Strom» (Zitat von >Franz Marc).

 

 

 

 

Fotogalerie Gemälde

Skulpturen

 

Ernst Barlach (1870-1938). Der Rächer, 1914.

 

Ernst Barlach (1870-1938)

 

Bekannt und berühmt ist der deutsche Bildhauer für seine expressionistischen Plastiken aus Holz und Bronze – aber er war auch Schriftsteller und verfasste Romane, Dramen und Schauspiele.

 

Die Bronze des wild voranstürmenden Berserkers steht für die Kriegsbegeisterung vieler Künstler und Intellektueller zu Beginn des Ersten Weltkriegs, den einige als «heiligen Krieg» sehen. Barlach gehört anfänglich auch dazu, doch ab 1916 wandelt er sich zu einem vehementen Kriegsgegner.


>mehr über Ernst Barlach

 

 

Rudolf Belling (1886-1972). Dreiklang, 1919.

 

 

Rudolf Belling (1886-1972). Tänzerin, 1916.

 

Rudolf Belling (1886-1972)

 

Diese Skulptur wird als Höhepunkt seines Schaffens betrachtet. Sie heisst Dreiklang und versucht, die drei Kunstrichtungen Malerei, Bildhauerei und Architektur unter einen Hut zu bringen. Mit diesem Werk von 1919 erwirbt er sich internationale Anerkennung als Bildhauer.

 

Belling kommt 1886 in Berlin zur Welt. 1918 tritt er dem «Arbeitsrat für Kunst» bei und wird dann auch Mitglied der progressiven Künstlervereinigung «Novembergruppe». Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 zerstören diese Bellings Portraits von demokratischen Politikern wie Gustav Stresemann und Friedrich Ebert.

 

1937 emigriert Rudolf Belling in die Türkei.
Bis 1952 hält er Vorlesungen an der Kunstakademie Istanbul, dann erhält er den Lehrauftrag für künstlerische Grundlehre und Modellieren an der Architekturfakultät in Istanbul.

 

1966 kehrt er nach Deutschland zurück und stirbt 1972 in Krailling bei München.

 

 

 

Alexander Archipenko (1887-1964). Blauer Tanz, 1913.

 

 

Alexander Archipenko (1887-1964). Schreitende Frau, 1912.

 

 

Alexander Archipenko (1887-1964). Der Tanz, 1912. Gips.

 

Alexander Archipenko (1887-1964)

 

Wie kommt es, dass das Saarlandmuseum über eine solche Fülle von Archipenko-Werken verfügt? Der ukrainische Künstler hatte 1912 seine erste Einzelausstellung im Folkwang Museum und pflegte seither mit deutschen Museen eine enge Beziehung. 1960 richtete das Saarlandmuseum für ihn eine bedeutende Retrospektive aus. Darauf hin bestimmte der Künstler dieses Museum zum «Erben» von über hundert seiner Gipsmodelle. Deshalb bietet die Saarbrücker Sammlung einen fast kompletten Überblick über die künstlerische Entwicklung Archipenkos von 1908 bis 1963.

 

Alexander Archipenko kommt am 30. Mai 1887 in Kiew zur Welt – damals noch Russisches Zarenreich.

Als Sohn eines Mechanikers studiert er von 1902 bis 1905 Malerei sowie Bildhauerei an der Kunstakademie in Kiew. Schon 1906 kann er seine Skulpturen in der Nähe Kiews an einer Ausstellung zeigen.

 

1908 verlässt er Russland mit Ziel Paris, wo er an der >École des Beaux-Arts studiert. 1911 eröffnet er seine erste Kunstschule, tritt 1912 der «Section d’Or» bei und lernt dort die Pariser Avantgardisten kennen, auch >Pablo Picasso. Als einer der ersten Bildhauer überträgt Archipenko den Kubismus auf Plastiken, schafft Skulpturen mit konvexen und kokaven Formen und mit Lerräumen. Die Schreitende Frau (1912) ist eines der ersten Beispiele für diese neue Richtung.

 

Archipenko hat Ausstellungen in halb Europa und wird international anerkannt. Ab 1920 lebt er in Berlin und gründet dort eine weitere Kunstschule.

 

1923 wandert er mit seiner Frau Gela Forster (eine Bildhauerin aus Dresden, 1893-1957) in die USA aus, wo er an verschiedenen Kunstschulen lehrt, z.B. an der Washington State University. 1937 eröffnet er in Chicago die «School of Creative Fine Arts». 1962 wird Archipenko in die American Academy of Arts and Letters gewählt. Er stirbt am 25. Februar 1964 in New York im Alter von 76 Jahren.

 

 

 

 

Fotogalerie Skulpturen

 

 

 

 

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