Ausstellung «Poesie im Pinselstrich»,
Malerei und Dichtung in der Kunst Chinas.

Museum Rietberg Zürich vom 26.5. bis 10.9.2023.

 

 

Chinesische Poesie in Bildern


Alte Gedichte berühmter Lyriker dienten den chinesischen Landschaftsmalern schon seit ewigen Zeiten als Inspirationsquelle. Die Ausstellung im Museum Rietberg zeigt eine Fülle von schönen Beispielen aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Viele der filigranen Malereien enthalten Poesietexte – direkt im Bild.

 

 

Ausstellungsplakat

 

 

In der Regel sind die poetischen Zeilen auf den Bildern von den Malern selbst verfasst – auch wenn sie sich an bestehenden Texten berühmter alter chinesischer Dichter orientieren. Die Texte verfolgen das Ziel, das Bild mit ergänzenden Sinneseindrücken zu bereichern – beispielsweise mit Hinweisen auf rauschendes Wasser, auf ein Flüstern des Windes oder auf das sanfte Licht des Mondscheins.

 

 

Die Villa Rieter im Rieterpark

 

Werke in Vitrinen präsentiert,
in drei Räumen.

 

 

Eigentlich schade, dass man als Europäer die chinesischen Zeichen nicht versteht und deshalb die Texte nicht im Original lesen kann. Aber gut, dass die Ausstellung in der Villa Rieter Übersetzungen ins Deutsche anbietet, sodass man immerhin einen Bezug zu diesen poetischen Werken erhält. Die Gemälde und Zeichnungen stammen alle aus der Sammlung
Charles A. Drenowatz.

 

 

Der Sammler Charles A. Drenowatz

 

Charles Drenowatz (1908-1979) erwarb seine chinesischen Bilder in den 1950/1960er-Jahren und schenkte sie 1979 dem Museum Rietberg, das damit eine der bedeutendsten Sammlungen chinesischer Malerei des 15. bis 19. Jahrhunderts besitzt. Die Sammlung ist weltweit bekannt und verfügt über ein grosses kunsthistorisches Renommée.

 

Wer war Charles A. Drenowatz? Er wurde in Zürich geboren, die Familie stammte ursprünglich aus Serbien. Sein Vater betrieb beim Stauffacher eine Werkstatt für Velos und Motorräder. Charles machte eine kaufmännische Lehre, übernahm mit 22 das Geschäft seines Vaters und baute es sukkzessive aus, fügte Generalvertretungen britischer Velos (Raleigh) und schliesslich für BMW-Motorräder ein. Später auch noch für medizinische und militärische Geräte. Bis in die 1970er-Jahre war seine Firma Radex AG in Zürich-Altstetten tätig. Daneben war er an Kunst interessiert, hatte Kontakt zum Direktor des Museums Rietberg (1952-56) >Johannes Itten (1888-1967).

 

1957 soll er auf die chinesische Kunst gestossen sein, als er den Sammler Franco Vannotti kennenlernte. Er konzentrierte sich bei seiner Sammeltätigkeit von Anfang an auf die Ming- und Qing-Dynastie. «Das Feld der chinesischen Kunst ist so ungeheuer gross (...), dass man unmöglich seine Kraft in all die verschiedenen Formen zersplittern kann», heisst es in seiner Biografie, die im Juli 2022 von Kim Karlsson und Alexandra von Przychowski verfasst wurde.

 

>Ganze Biografie Drenowatz (PDF)

 

 

 

Die chinesischen Mal-Utensilien

 

Zum Malen UND Schreiben verwendete man im alten China die gleichen Materialien: Pinsel und Tusche.
Papier wird in China schon seit dem 2. Jahrhundert aus verschiedenen Fasern hergestellt, vor allem aus Bambus, Maulbeerbaumrinde oder Reisstroh.

 

Die Pinsel sind aus mehreren Lagen unterschiedlich langer Tierhaare gebunden. Dadurch formt er, wenn er in die Tusche getaucht wird, immer eine dünne Spitze, und in seinem Inneren entsteht eine Art Tuschereservoir. Das elastische weisse Ziegenhaar eignet sich besonders für eine weiche, exakte Pinselführung, das rötliche borstige Marderhaar für eine raue Pinselsprache.

 

Diverse chinesische Pinsel

 

Die Tusche besteht zumeist aus dem Russ von verbanntem Kiefernholz, der zusammen mit Leim und Duftstoffen zu einem feinen Teig verarbeitet und dann zu Stäbchen oder Tafeln gepresst wird. Zum Schreiben und Malen verreibt man das Tuschestück mit etwas Wasser auf dem Tusche-Reibstein, bis die gewünschte Konsistenz und Tonalität der Tusche erreicht ist.

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Aus dem Album mit Landschaften.

Qian Du (1763-1844). Qing-Dynastie, 1841.

Sammlung Charles A. Drenowatz.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Landschaft mit Gedicht. Gu Shanyou (17.Jht), Ming-dynastie, 1639.

 

 

 

 

Landschaft. Gu Shanyou (17.Jht), Ming-dynastie, 1639.
 

 

Sehnsuchtsort Landschaft und Natur

 

Schon vor tausend Jahren besangen die Dichter in China die Natur in ihren Texten. Später übernahmen die chinesischen Maler diese Lyrik und bauten sie in ihre Zeichnungen und Gemälde ein.

 

In manchen Bildern geht es aber nicht um die Schönheit der Landschaft, vielmehr kommentieren die Künstler auch die politischen Wirren ihrer Zeit, zum Beispiel den Zusammenbruch der Ming-Dynastie im 17. Jht oder die Eroberung Chinas durch die Mandschu etwas später.

 

 

Poesie, Malerei und Kalligrafie

 

Texte und Zeichnungen bilden ein Gesamtkunstwerk aus Dichtung, Kalligrafie und Malerei. Diese hier stammen vom Gelehrten, Beamten und Maler
Gu Shanyou. Er illustriert Gedichte seines bewunderten Vorgesetzten Fan Jingwen (1587-1644), der auch sein Mäzen war. Die Szene nimmt dessen poetische Schilderungen auf:

 

«Die Wolken schimmern sanft, während sie zwischen den Bäumen dahinziehen; Wasserwirbel entstehen, wo Wellen auf die Klippen treffen».

 

 

Gu Shanyou (17.Jht), Ming-dynastie, 1639.

 

 

 

Detail mit Tempel und Wasserfall.

 

 

Gesucht: Einsamkeit in den Bergen


Einige Werke handeln von staatstreuen Beamten, die die Intrigen und Machtkämpfe am Kaiserhof nicht mehr aushiellten und sich in die Einsamkeit der Berge flüchteten. Diese «geflüchteten Beamten» wurden zu Identifikationsfiguren vieler Intellektueller bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein. In politisch chaotischen Zeiten versprach der Rückzug in die Natur Frieden und Trost.

 

Der in die Berge geflüchtete Beamte und Maler
Gu Shanyou bedauert in seinen Werken nicht nur sein eigenes Schicksal, sondern auch den traurigen Zustand seines von Aufständen und Unruhen geplagten Vaterlandes.

 

Das korrupte, von Machtkämpfen erschütterte System der späten Ming-Dynastie bedrohte viele loyale Gelehrte und Beamte. Auch Gu Shanyous Mäzen Fan Jingwen, für den er das Album malte, war in Missgunst geraten und seiner Ämter enthoben worden.

 

«Ein Pfad führt zu einem fernen Tempel im Bergnebel; ein tausend Fuss hoher Wasserfall
stürzt in den See».

 

 

Dai Xi (1801-1860). Blatt 3.1a aus Album Landschaften. Qing-Dynastie, datiert 1849.

 

 

 

Dai Xi (1801-1860). Blatt 3.2b, Album mit Landschaften. Qing-Dynastie, datiert 1849.

 

Beim Kaiser in Ungnade gefallen

 

Dai Xi entstammte einer alten Gelehrtenfamilie aus der Kulturstadt Hangzhou. Schon im Alter von 31 Jahren bekleidete er hochrangige Ämter in der Regierung und galt als loyaler Beamter. Als Maler verschrieb er sich der Literatenmalerei.

 

Aber dann erhielt seine Karriere 1849 einen Knick, weil Dai Xis politische Haltung dem Kaiser missfiel. Er fiel bei diesem in Ungnade und wurde um mehrere Ränge degradiert. Dai Xi zog sich daraufhin ins Privatleben zurück. Damit folgte er dem Beispiel von unzähligen Gelehrten früherer Zeiten, die in politisch widrigen Situationen den Staatsdienst quittierten und sich der Kunst und Kultur widmeten.


Diese Bilder aus dem «Album mit Landschaften» schuf er kurz nach seinem Abschied als Beamter. In den Gedichten spiegelt sich seine Gemütslage. Sie
sind voller Trauer und Wehmut, andererseits beschwören sie das Ideal des Einsiedlers.

 

«Der Schatten zweier Kraniche in der kalten, mond-hellen Nacht, tief in den Bergen umhüllt der Nebel
zehntausend Pflaumenbäume. Ich suche reine Träume auf meinem Bambusbett hinter dem Papiervorhang und träume davon, das Haus des Einsiedlers vom Einsamen Berg zu besuchen».

 

In diesem Gedicht spielt Dai Xi auf den Dichter
Lin Fu (967–1028) an, der über zwanzig Jahre am Einsamen Berg in der Nähe von Hangzhou lebte und seine Klause nie verlassen haben soll. Dort pflanzte er Pflaumenbäume, die er als seine Ehefrauen bezeichnete. Einen Schwarm zahmer Kraniche betrachtete er als seine Kinder.

 

 

Jin Nong (1687-1763). Qing-Dynastie, 1736.
Blatt 5.1a aus Landschaften nach Gedichten und Essays berühmter Autoren.
 

 

 

 

 

Jin Nong (1687-1763). Qing-Dynastie, 1736.
Blatt 5.1a aus Landschaften nach Gedichten und Essays berühmter Autoren. Detail.

 

Poesietexte und Malerei kombiniert

 

Hier füllen die Schriftzeichen den gesamten leeren Bildraum aus. Schrift und Bild korrespondieren durch die Verwendung der Tusche, bei der Jin Nong bewusst auf starke Hell-Dunkel-Kontraste verzichtet. Der Kalligraf, Dichter und Maler Jin Nong wählte lange Prosatexte, die er in vollem Umfang in die Bilder integrierte. Er gehörte zu den interessantesten Persönlichkeiten seiner Zeit. Sein unkonventioneller Lebensstil und sein eigenwilliger Umgang mit der Kunst machten ihn zum Star in der Kunst- und Kulturszene der Stadt Yangzhou, die alles Exzentrische liebte.



Die Rückkehr ins Heimatdorf

 

Ein uraltes und berühmtes Manifest des Gelehrten-Beamten Tao Yuanming (365–427). Es beschreibt, wie er sich aus der korrupten Amtswelt zurückzieht, um ein ungebundenes Leben im Einklang mit der Natur zu führen. Tao Yuanming besingt darin seine Rückkehr in sein abgelegenes Heimatdorf. Von den weltlichen Institutionen desillusioniert kehrte er dem Beamtendasein den Rücken und widmete sich fortan der Dichtkunst, dem Wein und seinen geliebten Chrysanthemen.

 

«Die Kleinen bei der Hand fassend trete ich ins Haus.
Da stehen Humpen gefüllt mit Wein. Ich nehme Krug und Becher und schenke mir ein. Das Geäst im Hofe betrachtend erheitert sich meine Miene (...). Das tägliche Wandeln in meinem Garten wird mir zu Wonne. Zwar ist ein Tor eingelassen in der Mauer, aber es bleibt für immer geschlossen. Auf meinem Stab gestützt ruhe ich aus nach der Bewegung und hebe dann den Kopf, um in die Ferne zu blicken:
Ziellos kommen die Wolken über den Berggipfeln hervor.»

 

«Die Vögel, müde vom Fluge, wissen heimzukehren. Die Strahlen der Sonne werden schwächer, indes sie zu sinken beginnt. Ich streichle eine einsame Kiefer und schweife weiter. (...) Reichtum und Ehre sind nicht, was ich wünsche, auf ein Land der Götter kann ich nicht hoffen. Ich sehne mich bloss danach, an einem schönen Morgen allein eine Wanderung zu unternehmen oder meinen Stock in den Boden zu stecken und Unkraut zu jäten».

 

 

 

Qian Du (1763-1844). Qing-Dynastie, 1841. 11.1 Blatt a aus Album mit Landschaften.

 

 

 

Qian Du (1763-1844). Qing-Dynastie, 1841.
11.2 Blatt b aus Album mit Landschaften.
 

 

 

Das Chaos im Opiumkrieg ausgeblendet

 

Im sogenannten «Opiumkrieg» von 1839 bis 1842 besiegte Grossbritannien mit ein paar Kriegsschiffen
das innenpolitisch geschwächte chinesische Kaiserreich. Das führte zu einem gesellschaftlichen Umbruch. In den Werken von Qian Du ist von diesem politischen Chaos nichts zu spüren. Der Maler entstammte einer alten Beamtenfamilie, die ihm ein unbeschwertes Leben als Gelehrtenkünstler ermöglichte. Er zelebrierte das Ideal des unabhängigen und hochgebildeten Künstlers, der Malerei als elitäre Spielerei betreibt.

 

11.1 Blatt a
«Im Schatten des Phönixbaumes den Sommer
geniessen. Mein Verwandter Shubao hat die spirituelle Essenz von Tinyun einzufangen vermocht. Ich schaffe es höchstens, die grobe Idee zu verstehen».


11.2 Blatt b
«Im Schatten der Kiefer reine Gespräche führen.
Qiu Shizhou zum Meister genommen, die Pinselführung von Ding Yunpeng (1547–1628) imitierend».


 

Fotos / Diashow

 

>Ausstellungsführer «Poesie im Pinselstrich» (PDF)

 

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