Milano: Kloster und Kirche
Santa Maria delle Grazie


Kein Kunstmuseum – und doch wird das Kloster vor allem von Kunstfreunden besucht, nein, bestürmt. Tausende wollen das Cenacolo von Superstar Leonardo da Vinci sehen. Aber das ist gar nicht so einfach. Der Ansturm ist so gross, dass man den Zugang limitiert hat und die InteressentInnen die Tickets drei Monate im voraus buchen müssen, online. >Link

 

Die Dominikanerkirche ist – dank Leonardo – zum Weltkulturerbe der UNESCO aufgestiegen. Es war der Herzog von Mailand, Francesco I Sforza (1401-1466), der den Bauauftrag dazu erteilte – selbst erlebt hat er den Bau nicht mehr. Das Kloster war 1469 fertig, die Kirche erst 1490. Sein Nachfolger, Sohn Ludovico Sforza, genannt «il Moro» (1452-1508), war ein Fan von Leonardo und auch dessen Förderer. Während Ludovicos Regierungszeit malte Leonardo das weltberühmte Abendmahl im Speisesaal des Klosters (1495-98).

 

 

Kloster und Kirche Santa Maria delle Grazie
mit Klostergarten.

 

 

 

Der Verrat von Novara

 

Kurz danach wurde Ludovico «il Moro» von den Franzosen aus Mailand vertrieben und in der Schlacht von Novara 1499 gefangen genommen. In dieser Geschichte spielen SCHWEIZER Söldner eine wichtige Rolle: Sowohl Mailand als auch der französische König Louis XII zogen mit eidgenössischen Kriegsknechten in den Kampf. Auf Ludovicos Seite verteidigten 6'000 Schweizer Söldner die Stadt Mailand, für die Franzosen kämpften 10'000. Schliesslich siegten die Franzosen, König Louis XII erlaubte aber den geschlagenen Eidgenossen, nach Hause ziehen zu dürfen – unter der Bedingung, dass sie Ludovico den Franzosen ausliefern würden. Nun versuchten die Söldner, Ludovico als Landsknecht verkleidet über die Grenze zu bringen. Das klappte aber nicht, weil ein Schweizer Kriegsknecht ihn verriet. Der Urner Hans Rudolf Turmann hatte sich für zweihundert Kronen bestechen lassen. Er blieb zunächst in Frankreich, kehrte dann drei Jahre später nach Uri zurück – und wurde dort verhaftet, angeklagt und bei Altdorf enthauptet. Dem von ihm Verratenen, Ludovico «il moro», erging es nicht viel besser. Dieser wurde von den Franzosen acht Jahre lang in Gefangenschaft im Château Loches gehalten, bis er dort 1508 starb.

 

PS: Die ganze Story ist als «Verrat von Novara» in die Literatur eingegangen und wurde sogar als Schauspiel aufgeführt.

 

Die Fertigstellung der Kirche, so wie man sie heute sieht, erfolgte erst im 16. Jahrhundert. Schon vorher machte sie Ludovico zur Begräbnisstätte der Sforzas. Die Ehre der ersten Bestattung wurde Ludovicos Gattin Beatrice d'Este zuteil, die 1497 sehr jung an der Geburt ihres dritten Sohnes starb, mit erst 21 Jahren.

 

 

Im kleinen Haus neben der Kirche ist
Leonardos Werk untergebracht: im
Refektorium des Klosters.

 

 

Leonardos «Cenacolo» im Speisesaal
des Klosters.

 

 

Leonardos weltberühmtes Wandbild ist nicht in der Kirche zu sehen, sondern im Kloster. Genauer: im so genannten Refektorium, dem Speisesaal, an der Nordwand.

 

Den Speisesaal nutzten auch die Truppen Napoleons um 1797 herum – als Pferdestall. Leonardos Werk schien damals niemanden gross zu interessieren, zumal es ja ein Wandgemälde war, das man nicht einfach abmontieren und nach Paris überführen konnte. Immerhin beschädigten die Pferde das Werk nicht.

 

Und noch einmal kam das berühmte Fresko mit dem Schrecken davon: Als im zweiten Weltkrieg 1943 das Refektorium knapp einem Bombenangriff der Allierten entging. Zerstört wurde zum Glück nur die Südwand, die Nordwand mit Leonardos Meisterwerk blieb stehen – diese hatte man vorsorglich mit Sandsäcken geschützt.

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Leonardo da Vinci (1452-1519).

Das letzte Abendmahl, 1495-98.

Santa Maria delle Grazie Milano.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapelle der
Heiligen Krone.

 

 

Tizian (1490-1576). Kapelle Martyrium des heiligen Petrus
von Verona.

 

 

Paris Bordone (1500-1571). Altargemälde.

 

 

Nicht nur Leonardo...

 

Das Kloster ist zwar vor allem für Leonardos «Letztes Abendmahl» (Cenacolo) berühmt, aber auch in der Kirche selbst gibt es eine ganze Reihe von Werken anderer grosser Künstler – oder Kopien davon – zu sehen. Apropos «sehen»: Da die Gemälde und Fresken in meist düsteren Kapellen untergebracht sind, ist die Sicht oftmals beschränkt. Man sieht sie im Gegenlicht oder nur von schräg unten, weil man die Kapellen nicht betreten kann – sie sind mit Gittern verschlossen. Es ist eben kein Museum. Wer Bilder mit biblischen Motiven erleben will, ist im Mailänder >Museum Brera besser aufgehoben.

 

In der Kapelle der Heiligen Krone baute man 1543 einen Altar auf, der mit dem Gemälde «Christus empfängt die Dornenkrone» geschmückt war. Dieses originale Werk von Tizian wurde aber 1797 von französischen Truppen gestohlen und entführt – es hängt heute im Louvre in Paris.

 

Das aktuelle Altarbild zeigt die Abnahme vom Kreuz und stammt von Caravaggino – der mit dem grossen Caravaggio aber nichts gemein hat, ausser dass er dessen Stil übernahm. Er heisst Tommaso Luini und kam dreissig Jahre nach Caravaggio zur Welt (1601-1636). Die Fresken in dieser Kapelle zeigen mehrere Szenen aus der Passion Christi und stammen von Gaudenzi Ferrari (1477-1546).

 

In der Kapelle «Martyrium des Heiligen Petrus von Verona» ist das gleichnamige Werk von Tizian (1490-1576) zu sehen, es könnte sich aber auch um eine Kopie handeln.

 

Das Altargemälde «Der Heilige Michael besiegt den Satan» aus dem Jahr 1560 wurde von einem Imitator von Parmigianino (1503-1540) gemalt. Ein Original ist dagegen das Gemälde in der Kapelle des Heiligen Josef. Es zeigt die Heilige Familie mit der hl. Katarina und stammt von Paris Bordone (1500-1571).

 

 

   

 

Leonardo da Vinci (1452-1519). Das letzte Abendmahl, 1495-98.

 

Detail.

 

Detail.

 

Detail.

 

 

Ludovico Sforza
«il moro», der Auftraggeber für das Cenacolo. Bild von Francesco Napoletano (1470-1501), 1494. Ausschnitt Sforza-Altar, Brera Milano.

 

 

Leonardo da Vincis «Letztes Abendmahl»

 

Der Künstler zeigt einen berühmten Moment in der biblischen Geschichte. Eben hat Christus gesagt: «Einer von euch wird mich verraten». Die zwölf Apostel reagieren alle unterschiedlich und emotional, sie wirken erstaunt, überrascht, entsetzt. Für die Darstellung dieser Gefühlsausbrüche lobt man das Werk Leonardos ganz besonders.

 

Aber eigentlich ist er nicht der erste Künstler, der beim Cenacolo solche Emotionen abbildet. Das tat schon fünfzig Jahre vor ihm der florentinische Maler Andrea del Castagno (1418-1457) in bemerkenswerter Weise. >mehr

 

Wirklich neu ist, dass Leonardo seine Apostel in Gruppen interagieren lässt. Und dass er im Gegensatz zu seinen Vorgängern (zu denen auch der Cenacolo-Spezialist >Domenico Ghirlandaio (1448-1494) gehört), den Verräter Judas nicht ausgrenzt, sondern in die Gruppe hinter dem Tisch integriert. Und dass er ganz auf Heiligenscheine verzichtet.

 

Und dass Leonardo ein paar Rätsel in sein Werk einbaut, die bis heute nicht gelöst sind: Wer ist die Frau auf dem Bild? Ist es überhaupt eine Frau, oder Johannes? Oder allenfalls >Maria Magdalena? Und trägt Judas (Fünfter von links) die Züge eines realen Verbrechers oder diente der Kloster-Abt als Modell? Oder ist es gar ein Selbstporträt Leonardos? Es darf gerätselt werden.

 

Berühmt ist das Werk aber auch, weil es zu zerfallen droht. Leonardo experimentierte und malte das rund neun Meter breite Bild in Tempera auf eine getrocknete Gipswand (Seccomalerei). Aber die Substanz hielt nicht auf dem Gips-Untergrund, und dieser nicht auf der Wand. Das Bild bröckelte nach und nach ab. Jahrhundertelang. Als man es im 18. Jht zu restaurieren versuchte, wurde es noch schlimmer. Weil man irrtümlich davon ausging, es sei ein Ölbild. Erst 1970 konnte man den weiteren Zerfall stoppen.

 

 

>mehr über das Letzte Abendmahl

 

>mehr über Leonardo da Vinci

 

 

   

 

Blick auf die Apsis.

 

Kreuzgang des Klosters.

 

Ausbau von Kloster und Kirche

 

Der Gesamtkomplex mit Kirche und Kloster wurde ab 1463 im Auftrag von Mailands Herzog Francesco I Sforza vom Architekten Guiniforte Solari erbaut. Das Kloster stand 1469, die Kirche wurde 1490 fertig.

 

Sohn Ludovico Sforza «il moro» (1452-1508) bestimmte dann die Kirche als Begräbnisstätte für die Familie der Sforza. Dazu liess er den Chor abreissen, um ihn durch einen monumentalen Zentralbau im Stil der Renaissance zu ersetzen. 1492 wurde dazu der Grundstein gelegt.

 

Donato Bramante (1444-1516), der berühmte Hochrenaissance-Architekt (Petersdom), vergrösserte dann die Kirche strukturell und fügte die imposante halbkreisförmige Apsis und eine gewaltige Kuppel mit Säulen bei, dazu im Kloster den Kreuzgang und das Refektorium, wo Leonardo das Cenacolo in der Nordwand schuf. 1499 verliess Bramante Mailand in Richtung Rom. Wer für den letzten Bauabschnitt verantwortlich war, ist unbekannt. Er dauerte noch bis ins erste Viertel des 16. Jahrhunderts.

 

 

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Fotos / Diashow