Ausstellung «Zerrissene Moderne»

Kunstmuseum Basel, 22.10.22 bis 19.2.2023

 

Wie Basel 1939 moderne
«entartete Kunst» einkaufte


Als 1936 das neue Kunstmuseum Basel eröffnet wird, spielt hier moderne Kunst noch keine Rolle – es gibt bloss einige wenige Werke zu sehen. Und zudem ist sich die Museumsleitung uneinig, ob in Basel moderne Kunst überhaupt gezeigt werden soll.

 

 

Der 1936 eröffnete Hauptbau des
Kunstmuseums Basel

 

 

Doch dann findet 1937 in München eine von Adolf Hitlers NSDAP organisierte Ausstellung mit – von den Nazis so genannter – «entarteter Kunst» statt. Gezeigt werden Werke, die aus deutschen Museen beschlagnahmt wurden. Nach der Ausstellung werden rund 800 solcher Gemälde und Skulpturen von den Nazis als «international verwertbar» eingeschätzt. Heisst: Sie werden zum Verkauf ins Ausland bestimmt, um an Devisen zu gelangen. 1938 lagert man sie in einem Depot im Schloss Schönhausen in Berlin ein.

 

Das Reichspropagandaministerium der NSDAP beauftragt vier ausgewählte Kunsthändler mit der Verwertung der Werke, sprich mit dem Verkauf. Ausserdem plant man eine Auktion in der Schweiz – durch die Galerie Theodor Fischer in Luzern.

 

Nun wird moderne Kunst auch für das Kunstmuseum Basel ein Thema. Allerdings ein umstrittenes – die Meinungen sind geteilt. Erstens: Soll man in Basel moderne Kunst überhaupt zeigen? Zweitens: Ist es moralisch vertretbar, Hitlers NS-Regime aus Museen «beschlagnahmte», also gestohlene Werke abzukaufen? Die Kauf-Befürworter argumentieren, es sei ja nicht ihre Schuld, dass die Werke «nun auf dem Markt» seien und «wenn wir sie nicht kaufen, werden sie von anderen gekauft». Immerhin stünden ja auch die Museen in einem Konkurrenzkampf untereinander.

 

Schliesslich geht es noch um die Frage, woher man das Geld für einen Ankauf nehmen soll. Nach hitzigen Diskussionen in der Kunstkommission wendet man sich an den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt und beantragt einen Kredit von 100'000 Franken. Dieser stimmt grundsätzlich zu, kürzt den Kredit aber auf 50'000 Franken.

 

Der 1939 neu gewählte Direktor des Kunstmuseums Basel, Georg Schmidt – ein überzeugter Anhänger von moderner Kunst – reist 1939 nach Berlin und lässt sich im Schloss Schönhausen die zum Verkauf stehenden Werke zeigen. Er kommt mit einer Liste von Werken zurück, die er gerne kaufen würde. Schliesslich gelingt es ihm, mit den 50'000 Franken über zwanzig Meisterwerke für das Kunstmuseum Basel zu erwerben. Dreizehn kauft er bei den vier Kunsthändlern, die vom NS-Regime ausgewählt worden waren und weitere acht auf einer Auktion in der Galerie Theodor Fischer in Luzern.

 

 

Die grosse Versuchung

 

Nun, da plötzlich massenhaft «entartete» Kunstwerke auf dem Markt sind (es sollen über 20'000 aus deutschen Museen beschlagnahmt worden sein – nicht nur die 800, die im Schloss Schönhausen-Berlin offiziell zum Verkauf standen), kommen zahllose Museen und Kunstsammler in Versuchung, sich auf diesem neuen Markt zu bedienen. Und viele können der Versuchung nicht widerstehen. Darunter sind auch deutsche Museen. So erwirbt zum Beispiel die Hamburger Kunsthalle einen Kirchner, der vor der Beschlagnahmung in Chemnitz in der Städtischen Kunstsammlung hing. Der Kauf erfolgt allerdings erst nach dem Krieg, 1949.

 

Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938). Die
weisse Kuh, 1920. Hamburger Kunsthalle.
Erworben 1949.

 

 

Auch das belgische Musée des Beaux-Arts La Boverie in Lüttich erwirbt 1939 ein Werk in der Auktion der Galerie Fischer in Luzern, das aus einer NS-Beschlagnahme stammt: Ein Picasso, der vorher dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln gehörte.

 

Pablo Picasso (1881-1973). La Famille Soler,
1903. Musée des Beaux-Arts, La Boverie, Lüttich.
Erworben in der Auktion Fischer Luzern 1939.

 

 

Sogar in Übersee landen Werke, die von den Nazis aus deutschen Museen entwendet wurden. Wie die «Kreuzabnahme» von Max Beckmann aus dem Jahr 1917. Es ist vorher im Besitz des Städel Museums Frankfurt, kommt nach der Beschlagnahmung durch die Nazis ins Schloss Schönhausen-Berlin (als «international verwertbare Kunst») und wird via den Kunsthändler Karl Buchholz verkauft. Käufer ist der New Yorker Curt Valentin. 1954 kommt dessen Nachlass ins Museum of Modern Art, New York.

 

 

Max Beckmann (1884-1950). Kreuzabnahme,
1917. Museum of Modern Art New York.

 

 

Die Ausstellung «Zerrissene Moderne» zeigt nicht nur Werke, die vom Kunstmuseum Basel erworben wurden, sondern auch Käufe durch weitere internationale Museen in der fraglichen Zeit um 1939. Im ausführlichen «Saalbooklet» sind sämtliche Provenienzen der einzelnen Werke beleuchtet, samt Angaben über deren Erwerb.

 

>Saalbooklet

 

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)
Franz Marc (1880-1916). Tierschicksale 1913.
Ursprünglich im Städtischen Museum für Kunst,
Halle. Beschlagnahmt 1938, erworben vom Kunstmuseum Basel über Hildebrand Gurlitt, 1939.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Klee (1879-1940). Senecio (Baldgreis), 1922. Kunstmuseum Basel. Ankauf 1931.

 

 

Max Ernst (1861-1976). La Grande Forêt, 1927. Kunstmuseum Basel. Erworben 1932.

 

 

Georg Schmidt,
Direktor ab 1939, Anhänger moderner Kunst.

 

 

Basels harziger Start in die Moderne

 

Die Basler Kunstsammlung hat einen international glänzenden Ruf. Sie umfasst über 300'000 Werke aus acht Jahrhunderten. Ihr Kernbestand geht auf 1661 zurück, als die Stadt das Amerbach-Kabinett mit Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts erwarb. Damit besitzt Basel die älteste öffentliche Kunstsammlung der Welt.

 

 

Mit moderner Kunst schwach dotiert

 

Noch zum Zeitpunkt der Eröffnung des neuen Hauptbaus 1936 spielt die moderne Kunst in Basel kaum eine Rolle. Das Kunstmuseum besitzt erst einige wenige Werke, darunter befinden sich ein Moilliet, ein Nolde, eine Skulptur von Lehmbruck, zwei Paul Klee und ein Max Ernst.

 

1939 wird der Basler Kunsthistoriker und Kunstkritiker Georg Schmidt (1896-1965) neuer Direktor des Kunstmuseums Basel. Er ist ein feuriger Anhänger der modernen Kunst und setzt sich dafür ein, dass die bisher magere Sammlung erweitert wird.

 

1939 reist Schmidt nach Berlin, um die im Schloss Schönhausen zum Verkauf ausgestellten Werke «entarteter Kunst» zu besichtigen. Mit einem Kredit von 50'000 Franken ausgestattet, gelingt es ihm, über 20 Meisterwerke deutscher und französischer Künstler zu erwerben. 13 kauft er direkt in Berlin bei den vom NS-Regime ausgewählten Kunsthändlern, weitere acht in einer Auktion der Galerie Theodor Fischer in Luzern.

 

 

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Käufe durch das Kunstmuseum Basel

 

Franz Marc
(1880-1916). Tierschicksale 1913.
Kunstmuseum Basel, erworben 1939.

 

Detail.

 

Restauration 1919 durch Paul Klee.

 

 

Das erste 1939 eingekaufte Werk

 

Von 1930 bis zur Beschlagnahmung durch die Nazis hängt dieses als «entartet» gebrandmarkte Gemälde von Franz Marc im Städtischen Museum für Kunst in Halle. 1937 wird das Werk an der Münchner Ausstellung für «entartete Kunst» gezeigt.

 

Das Kunstmuseum Basel erwirbt es 1939 im Schloss Schönhausen in Berlin direkt vom NS-Regime (aus dem Depot «international verwertbare Kunst») durch den Kunsthändler Hildebrand Gurlitt.


Franz Marc fällt 1916 als Soldat im Ersten Weltkrieg. Im Jahr darauf wird sein Werk mit dem Titel «Tierschicksale» in einer Gedächtnisausstellung für den Künstler in Berlin gezeigt.

 

Bei einem Brand in einem Lagerraum wird das rechte Drittel angesengt und teilweise zerstört.

 

Paul Klee, ein Freund von Fanz Marc und wie er Mitglied der expressionistischen Künstlergruppe >Der Blaue Reiter, restauriert das Werk 1919 anhand von Bildern. Den Brandschaden lässt er durch die Verwendung von vornehmlich braun-roten Töne sichtbar.

 

 

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Marc Chagall
(1887-1985). La Prise (Rabbin), 1923-26. Kunstmuseum Basel. Erworben 1939.

 

Marc Chagall

 

Dieses Werk hängt in der Kunsthalle Mannheim, als es 1937 von den Nazis als «entartet» deklariert und beschlagnahmt wird. Es gelangt in die Luzerner Auktion der Galerie Theodor Fischer. Dort erwirbt das Kunstmuseum Basel das Werk am 30.6.1939.

 

Es zeigt einen Rabbiner, der eine Prise Schnupftabak nimmt (was praktizierenden Juden am Sabbat – im Gegensatz zum Rauchen – erlaubt ist).

 

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Alexej von Jawlensky (1864-1941). Variation Strenger Winter, 1916. Kunstmuseum Basel. Erworben 1941.

 

Alexej von Jawlensky

 

Der Kunsthändler >Hildebrand Gurlitt kauft dieses Werk ab NS-Depot Berlin; 1941 erwirbt es Hans Gessner, Münchenstein; seit 1941 ist es im Kunstmuseum Basel zu sehen.

 

Der Russe Jawlensky musste als «feindlicher Ausländer» im Ersten Weltkrieg Deutschland verlassen. Das Gemällde entstand im Schweizer Exil am Genfersee. Die letzte Reise vor seinem Tod unternahm er 1937, als er in München die Ausstellung «entartete Kunst» besuchte, in der seine Werke gezeigt und diffamiert wurden.

 

 

Lovis Corinth (1858-1925). Ecce Homo, 1925. Kunstmuseum Basel. Erworben 1939.

 

Lovis Corinth


Als «entartet» 1937 in München ausgestellt, wird das Werk 1938 im Depot Schloss Schönhausen-Berlin zum Verkauf angeboten und 1939 vom Händler Karl Buchholz für das Kunstmuseum Basel erworben.

 

Diese Passionsszene malte Corinth in seinem Todesjahr. Über vierzig seiner Gemälde wurden aus deutschen Museen beschlagnahmt.

 

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Paula Modersohn-Becker (1876-1907). Selbstbildnis als Halbakt mit Bernsteinkette II, 1906. Kunstmuseum Basel. Erworben 1939.

 

Paula Modersohn-Becker


Beschlagnahmt aus dem Kestner Museum Hannover. Angeboten in Berlin im Depot Schloss Schönhausen, verkauft über die Galerie Theodor Fischer Luzern, vom Kunstmuseum Basel erworben 30.6.39.

 

Das intime Werk gilt als eines der ersten Akt-Selbstbildnisse überhaupt und war vermutlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Es wurde erst sechs Jahre nach dem Tod der Künstlerin 1913 erstmals ausgestellt. Obwohl es die Preisgrenze der Basler Kunstkommission sprengte, wurde es auf der Auktion in Luzern für das Kunstmuseum erworben.

 

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Max Beckmann (1884-1950). Das Nizza in Frankfurt am Main, 1921. Kunstmuseum Basel. Erworben 1939.

 

Max Beckmann


Ursprünglich im Städel Museum, Frankfurt. Nach der Beschlagnahmung im Schloss Schönhausen-Berlin. Ankauf Kunstmuseum Basel über Karl Buchholz.


Beckmann verlor nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 seine Professur an der Frankfurter Städelschule. In diesem Gemälde stellt er die Stadt als Landschaft dar: Als «das Nizza» bezeichnet der Frankfurter Volksmund einen Park mit südlichen Gewächsen am Mainufer gegenüber von Sachsenhausen. Der Basler Kunsthausdirektor Georg Schmidt setzte sich für den Erwerb dieses Gemäldes ganz besonders ein.

 

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Oskar Kokoschka (1886-1980). Die Windsbraut, 1913. Kunstmuseum Basel. Erworben 1939.

 

 

Oskar Kokoschka

 

Dieses 180 x 220 cm grosse Gemälde wird 1938 aus der Hamburger Kunsthalle beschlagnahmt und dann vom Berliner Kunsthändler Karl Buchholz via >Hildebrand Gurlitt für das Kunstmuseum Basel erworben.


Es ist ein autobiografisches Gemälde des Künstlers und bezieht sich auf eine heftige Liebesbeziehung zu >Alma Mahler. 1933, nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, verlor Kokoschka seine Professur an der Dresdner Kunstakademie. Er ging 1934 ins Exil und lebte bis 1938 in Prag, danach in Grossbritannien. Der österreichische Künstler galt als Hitlers «Kunstfeind Nr.1», weil er jede Form von Diktatur ablehnte. Die Nazis sollen mehr als 600 (!) Kokoschka-Werke aus deutschen Museen entfernt haben. Die meisten davon wurden ins Ausland verkauft.

 

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Fotos Ausstellung «Zerrissene Moderne»

 

 

>Saalbooklet «Zerrissene Moderne» Kunstmuseum Basel

 

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