Ausstellung Haus Konstruktiv Zürich «Dora Maurer,
Minimal Movements, Shifts, 1970-2020»
10. Juni bis 12. September 2021.

 

 

Dora Maurer –

konkrete Kunst oder nicht?


«Eine dogmatisch nach konstruktiv-konkreten Prinzipien arbeitende Künstlerin bin ich nicht, aber ich fühle mich im Kontext der konkreten Kunst am besten aufgehoben», sagt sie von sich selbst. Die Ausstellung zeigt eine ganze Reihe von Werken, die der konkreten Kunst zumindest sehr nahe stehen. Auch wenn sich die Ungarin viele künstlerische Freiheiten in der Umsetzung leistet.

 

 

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Dora Maurer (geb. 1937) im Alter
von 34 Jahren (1971).

 

 

Wer ist Dora Maurer? Sie ist Ungarin und hat einen guten Draht zur Schweiz. 1937 kommt sie in Budapest zur Welt. Als Neunjährige reist sie mit den vom Roten Kreuz organisierten Kinderzügen in die Schweiz, um sich für drei Monate von den Strapazen der Kriegszeit zu erholen. Und ein weiteres Mal zwei Jahre später.


In den 1970er-Jahren zählt Dora Maurer bereits zu den wichtigsten Kunstschaffenden in der ungarischen Kunstszene. Sie wirkt als Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in Budapest und als Kuratorin.

 

Sie ist nicht nur malerisch und grafisch tätig, sondern befasst sich auch mit fotografischen und filmischen Arbeiten. Im Fokus ihrer Arbeit steht schon früh nicht das vollendete Werk, sondern die Sichtbarmachung von Entwicklungsprozessen.

 

Besonders faszinierend sind ihre an die konkrete Kunst angelehnten Werke, die sie ab 2000 frei interpretiert und ihnen eine Art kinetische Wirkung verpasst. Obwohl es eindimensionale Gemälde sind, kommen sie optisch dreidimensional und schwebend-schwerelos daher.

 

 

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Dora Maurer (1937).
Overlappings 38, 2007.

 

 

 

Das Haus Konstruktiv widmet Dora Maurer die erste museale Einzelausstellung in der Schweiz. Es ist eine retrospektive Einzelschau, die in Zusammenarbeit mit der Künstlerin, der White Cube Gallery London und der Vintage Galeria Budapest realisiert werden konnte. Kuratorin ist Sabine Schaschl.

 

 

 

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Titelbild (Ausschnitt)

Dora Maurer (1937). Stage III, 2016.

Vintage Gallery Budapest.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Dora Maurer (1937). What Can One Do with a Paving Stone?, 1971. Privat-sammlung.

 

 

1971: Den Pflasterstein liebkosen

 

Zu ihren Frühwerken gehören auch Fotoarbeiten. In einer Bilderserie mit dem Titel «What Can One Do with a Paving Stone?» gibt sie 1971 als Protagonistin die Antwort gleich selbst und lässt sich in einer Fotoserie in diversen Aktionen ablichten. Ihre Aussage(n): Man kann den Pflasterstein für den Bau verwenden oder ihn politisch motiviert auf jemanden schmeissen. Man kann ihn aber auch ebensogut liebkosen – wie sie das auf dieser Fotografie tut.

 

 

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Dora Maurer (1937). Structure of a Thesis (The only Way of Arts Evolution – to realize every third idea), 1972. Privatsammlung.

 

1972: Maurers künstlerisches Statement

 

Nicht ganz einfach, dieses Bild zu lesen. Es nennt sich «Struktur einer These» und besteht aus weissen Buchstaben und Linien auf schwarzem Grund. Wenn man die Geduld aufbringt, den Linien zu folgen und die so gefundenen Buchstaben aneinander reiht, ergibt sich daraus einer der Grundsätze der Künstlerin: «The Only Way of Arts Evolution: to Realize Every Third Idea».

 

Heisst: Auf dem Weg zur künstlerischen Entwicklung soll man nur jede dritte Idee realisieren. Was sie damit sagen will: Es gehe weniger um das vollendete Werk, als vielmehr um die Sichtbarmachung der Vorgänge rund um den Entwicklungsprozess.

 

 

 

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Dora Maurer (1937). Schautafel 4. Quantity Board, 1972. Privatsammlung.

 

 

1972: Mathematische Spielerei

 

In dieser Schautafel zeigt die Künstlerin eine systematische Anordnung von Objekten aus der Natur: es sind kleine mit Gelb, Rot und Blau bemalte Baumzweige. Ihr magisches Quadrat besteht aus fünf mal fünf Feldern, in die insgesamt 500 «Werte» verabeitet sein sollen.

 

Unbemalte Zweige geben einen Wert, die gelben fünf, die roten 10, die blauen 25. Jede Reihe soll 100 Punkte darstellen, fünf Reihen also 500 Werte. Wer Lust hat, das nachzuzählen, kann das gerne tun. Wer der Künstlerin vertraut, kann es auch lassen.

 

 

 

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Dora Maurer (1937). 5 out
of 4, 1979. Privatsammlung.

 

1979: Fünf aus vier

 

Auch ein Frühwerk. Es handelt sich dabei um eine Spielerei mit Proportionen und Leerräumen. Ausgangspunkt sind die vier Quadrate in der obersten Reihe, die allerdings auch schon irgendwie unterteilt sind. Aus diesen entstehen in den unteren Reihen je fünf Elemente mit den dazu gehörenden leeren Flächen. Was genau dahinter steckt und was die Aussage ist, kann vielleicht ein Mathematiker erläutern. Aber man muss ja nicht alles verstehen.

 

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Dora Maurer (1937). Quasi Image from the 103rd Stage, 1983. Privatsammlung.

 

 

1983: Maurers «Quasi-Bilder»

 

In den 1970er-Jahren experimentiert die Künstlerin mit «Displacements» von geometrischen Formen, die in ihrem Werk eine wichtige Rolle spielen. Vierecke mit diagonalen Streifen werden systematisch verschoben – die warmen Farbtöne horizontal, die kalten diagonal. Dabei kommt es zu vielschichtigen Überlagerungen. Diese Schöpfungen nennt sie «Quasi-Bilder». Wie sie zu dieser Bezeichnung kommt, erklärt die Ausstellung nicht. Man müsste die Künstlerin fragen.

 

 

 

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Dora Maurer (1937). Over-lappings 5, 2000. Privatsammlung.

 

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Dora Maurer (1937). IXEK 21, 2017. Privat-sammlung.

 

 

 

2000-2020: Konkrete Kunst frei interpretiert

 

Zu den eindrücklichsten Werken der Ausstellung gehören diese bunten «halb-geometrischen» Kreationen, die ab 2000 entstehen. Kein Wunder, dass sich Dora Maurer mit diesen Arbeiten den Konkreten nahe fühlte. Die Künstlerin nennt diese Werke Overlappings und Quod Libets, oder auch IXEK (Pluralform des ungarischen X).

 

Im Haus Konstruktiv sind sie am richtigen Ort, obwohl sie sich von der reinen konstruktiven Form abgrenzen und fast schwerelos daher kommen.

 

Durch eine freie Interpretation und raffinierte Zusammenfügung von Farbflächen erhalten diese Werke eine kinetische Wirkung und/oder erscheinen dreidimensional. Erst wenn man sich ihnen ganz nähert, stellt man fest, dass es nichts als eindimensionale Gemälde sind. Ein Vergnügen, diese umfangreiche Werksgruppe in zahllosen Farb- und Formvarianten zu geniessen.

 

Sie sind bis zum 12. September 2021 im dritten Stock zu sehen.

 

 

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Fotos Ausstellung Dora Maurer

 

 

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