Ausstellung «A Black Hole is Everything a Star Longs to be»
Kunstmuseum Basel, 5. Juni bis 26. September 2021

 

 

Kara Walker – eine zornige
schwarze Frau klagt an

 

Das Warnschild vor dem Eingang verheisst nichts Gutes: «Die Werke enthalten erschütternde Szenen, die als verstörend empfunden werden können».

 

Das mag für einzelne Arbeiten zutreffen, aber wirklich verstörend an dieser Ausstellung ist, dass man sich als (männlicher) Besucher unter permanentem Beschuss fühlt: als Angeklagter in Sachen Rassismus, Unterdrückung und/oder sexueller Gewalt.

 

 

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Ausstellungsplakat. Kara Walker (1969).
Barack Obama as Othello «The Moor».
With the Severed Head of Iago in a New
and Revised Ending by Kara E. Walker,

2019.

 

 

Die Künstlerin zeigt rund 600 Zeichnungen – und jede einzelne davon ist eine Anklage. Auch wenn man sich persönlich weder als Vergewaltiger noch als Sklavenhalter sieht – die Vorwürfe kleben an einem. Ist man wirklich frei von rassistischen Vorurteilen? Hat man selbst nicht auch schon lüsterne Blicke auf knackige schwarze Haut geworfen? Und ist man letztlich als weisser Europäer nicht doch Teil der Schwarzen-Ausbeutung, weil ja der Wohlstand vieler europäischer Nationen in deren Kolonien erworben wurde – auf dem Buckel der Sklaven?

 

Kara Walkers Zeichnungen provozieren. Sie lassen die grauenvolle Geschichte der amerikanischen Sklaverei neu aufleben und weisen darauf hin, dass die rassistisch bedingte Unterdrückung der Schwarzen auch heute noch anhält.

 

Walker thematisiert auch die sexuelle Gewalt gegen schwarze Frauen und zeichnet diese immer wieder in erniedrigenden Situationen. Dabei wird nicht klar, ob die Künstlerin diese Gewalt selbst erlebt hat oder ob sie eher allgemein die schwarze Frau als Opfer sieht. Und ebenso wenig klar ist, ob sie in den «Tätern» Weisse oder Schwarze sieht. Oder beides.

 

Deutlich macht Walker hingegen, dass sie die Schwarzen auch heute noch für unterdrückt hält. Sie sieht zwar im ersten schwarzen US-Präsidenten einen Hoffnungsschimmer – oder hat diesen zumindest gesehen. Ihren schwarzen Präsidenten behandelt sie künstlerisch in einem Barack-Obama-Zyklus und stellt ihn einerseits als Retter und Heilsbringer dar, anderseits aber gleichzeitig auch so, wie ihn seine Gegner verunglimpft haben: als primitiven afrikanischen Stammesführer, halbnackt mit Speer und fettem Schwein.

 

 

 

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Kara Walker (1969). Barack Obama
as «An African» with a Fat Pig
(by Kara Walker), 2019.
The Joyner-Giuffrida-Collection.

 

 


Die Ausstellung zeigt rund 600 Zeichnungen, die von der Künstlerin während 28 Jahren unter Verschluss gehalten wurden. Dabei sind auch solche, die gar nicht für Ausstellugen gedacht waren, weil sie der Künstlerin zu privat erschienen. Offenbar hat sie sie nun doch «ausgegraben», wie sie das selbst nennt.

 

Nur wenige Zeichnungen sind betitelt oder beschriftet. Damit überlässt die Künstlerin die Ausstellungs-BesucherInnen sich selbst. Nicht immer einfach, die Aussagen ihrer Werke zu verstehen oder richtig zu deuten.

 

Die Ausstellung im Kunstmuseum Basel wird in Kooperation mit der Kunsthalle Schirn Frankfurt und dem De Pont Museum Tilburg (Niederlande) ausgerichtet.

 

 

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Kara Walker (1969). Ohne Titel.

 

 

 

 

 

>Walker-Saalbooklet

 

>Kunstmuseum Basel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Kara Walker
(geb. 1969)
Foto WikiArt.

 

 

 

 

 

 

 

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Styroporskulptur «A Subtlety, or the Marvelous Sugar Baby». 2014 in der Domino Sugar Factory in Brooklyn, NY, gezeigt. Foto Creative Time, Google Arts and Culture.

 

Wer ist Kara Walker?

 

Sie kommt 1969 in Kalifornien zur Welt und zieht dann mit ihrer Familie nach Atlanta, Georgia. Dort studiert sie 1991 Bildende Kunst und macht dann an der Rhode Island School of Design ihren Master in Fine Arts. Heute arbeitet sie in New York. 2012 wird sie Mitglied der American Academy of Arts und 2019 zum «Honorary Royal Academician» der Londoner Royal Academy of Arts ernannt.

Ihren Durchbruch als Künstlerin schafft sie 1994 in New York mit wandfüllenden Scherenschnitten, die zu ihrem Markenzeichen geworden sind. Ihre Werke finden sich u.a. in den New Yorker Museen Solomon R. Guggenheim, MoMA und Metropolitan, aber auch in der Londoner Tate Gallery.

 

Besondere Beachtung fand ihre 2014 geschaffene Monumentalskulptur unter dem Titel «A Subtlety or the Marvelous Sugar Baby» (Eine Subtilität oder das wunderbare Zuckerbaby). Technisch handelt es sich um eine elf Meter hohe Sphinx aus mit Zucker beschichtetem Styropor.

 

Inhaltlich ist es eine Anklage, die ganz auf der Linie liegt, die auch in der Ausstellung in Basel erkennbar ist: Sie prangert die Ausbeutung der Schwarzen an. Im Fall der weissen Zucker-Sphinx sind es die Sklaven auf den Zuckerplantagen. Walkers weisses Sugar Baby symbolisiert also jene Schwarzen, die als Sklaven Schweiss, Blut und oftmals auch ihr Leben auf den Zuckerfeldern der weissen Kolonialisten gelassen haben.

 

 

 

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Ohne Titel. Frau, Mann, oder etwas dazwischen?

 

 

Ist das Geschlecht flüssiger als die Rasse?

 

In diesem Werk stellt Walker die These auf, dass das Geschlecht eines Menschen weniger fixiert ist als die Hautfarbe. Deshalb zeigt sie in dieser Zeichnung eine Person mit Brüsten und Penis. Beides ist möglich, sagt sie dazu, der Übergang ist fliessend.

 

Damit meint sie, dass die Gender-Akzeptanz in der Gesellschaft in den letzten Jahren zugenommen hat – dass aber bei der Hautfarbe immer noch die gleichen (alten) Gesetze gelten: Schwarze Haut ist weniger wert als weisse. Und die Hautfarbe ist und bleibt fixiert und unveränderbar – und mit ihr die Rasse.

 

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Jede schwarze Frau im Kongo wurde schon vergewaltigt.

Die Vergewaltigung als Normalfall

 

Der Text dieser Schrifttafel lautet frei übersetzt: «Die meisten schwarze Frauen leiden unter einem alten Fluch namens Nigger, der eine wichtige Rolle bei der Entwurzelung der Familie und der verdammten Seelen spielt (...). Jede schwarze Frau im Kongo ist schon vergewaltigt worden – und das gilt als Normalfall. Viele schwarze Kinder werden Mord mit Liebe verwechseln».

 

 

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Schwarze Showgirls in Wien um 1898.

 

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Natürlich – und
daneben.

 

Voyeurismus als sexuelle Gewalt

 

«So viele haben heute auf uns gestarrt – ich habe ihnen einen freien Blick gewährt», sagt eines der Showgirls auf dieser Zeichnung. Die Künstlerin spricht damit die Frau als Ware an. Voyeure zahlen dafür, sie anstarren zu dürfen. Für sie ist das auch eine Form von sexueller Gewalt. An anderer Stelle beklagt sie, dass die schwarze Haut auf die Weissen eine besondere sexuelle Anziehung hat.

 

In die gleiche Richtung zielt diese Zeichnung und das damit verbundene Wortspiel. Nackte Frauen werden in Magazinen abgebildet, was heute schon ganz natürlich (of course) und salonfähig geworden ist. Die Künstlerin hält solche Publikationen für frauenabwertend und damit «daneben», was sie mit dem «off course» ausdrückt, was auch «vom Kurs abgekommen» heissen kann.

 

 

 

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«Männer wollen leichtgläubige und geistlose Frauen...».

 

 

 

 

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Freiheit, Vergewaltigung, Milf, Bukkake...

 

 

 

 

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Der Blowjob als Gewaltakt.

 

Kara Walkers verstörendes Männerbild

 

In diesem Schriftwerk fährt die Künstlerin grobes Geschütz auf und stellt den Männern ein verheerendes Zeugnis aus. Hat sie mit ihren Männern so schlechte Erfahrungen gemacht? Oder verarbeitet sie hier die Erfahrungen anderer schwarzer Frauen?

 

«Männer wollen, dass die Frau da ist - irgendwie. Ohne unsere ruhige und mitfühlende Wachsamkeit geht alles in die Hose. Männer wollen, dass die Frau leichtgläubig und geistlos ist. Sexuell bis zu einem gewissen Punkt und unschuldig bis zu einem anderen Punkt. Das Spektrum dessen, was Männer wollen, sind kurze Wellenlängen des sichtbaren Lichts.»

 

 

Sexaufklärung im Museum?

 

Vermutlich können die wenigsten Ausstellungs-BesucherInnen mit Ausdrücken wie MILF oder Bukkake etwas anfangen. Die Künstlerin hat dagegen keine Berührungsängste zu extremen Sexpraktiken. Sie nennt alles beim Namen und schreckt mit ihren Zeichnungen auch vor sexueller Gewalt nicht zurück.

 

Was heisst nun MILF? Der Begriff schafft einen Bezug zu nicht mehr ganz jungen Frauen, oder genauer: zu Müttern, zu Mothers. Es ist eine Abkürzung für «Mothers I'd Like to Fuck», also «Mütter, die ich gerne ficken würde». Der Ausdruck stammt aus den 1990ern und wurde an der amerikanischen Westküste erfunden.

 

Bei Bukkake handelt es sich um eine Gruppensex-Praktik, an der eine weibliche und mehrere männliche Personen beteiligt sind. Diese onanieren und spritzen ihr Sperma auf die Frau ab. Je nachdem, wohin sie spritzen, nennt sich das dann Gesichts- oder Brüste- oder Fuss-Bukkake oder was auch immer. Diese Sexpraktik soll aus Japan stammen.

 

 

 

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Kara Walker (1969). Allegory of the Obama Years by Kara E. Walker, 2019. The Joyner-Guffrida-Collection.

 

 

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Kara Walker (1969). Barack Obama as Tormented Saint Anthony Putting Up With the Whole «Birther» Conspiracy, 2019. The Joyner-Guffrida-Collection.

 

Barack Obama – Retter der Schwarzen?

 

Für die Künstlerin ist Obama mehr als nur der erste schwarze US-Präsident. Sie sieht (oder sah?) in ihm die Hoffnung und die Erfüllung des berühmten Satzes von Martin Luther King «I have a dream». In ihrem Obama-Zyklus stellt sie ihn in vier Versionen vor: Als Lichtbringer, als Heiliger Antonius, als afrikanischen Stammeshäuptling und als Shakespears Othello (Ausstellungsplakat).

 

In der «Allegorie» von 2019 tritt Obama, einem Lichtbringer gleich, aus den schwarzen Wolken hervor. Eine schwarze Nackte fleht ihn als Retter des afroamerikanischen Volkes an.


Im Werk «Barack Obama as Othello» (Foto linke Spalte oben) hält Obama den Kopf seines Amtsnachfolgers Donald Trump auf dem Schoss. Walker schreibt in diesem Bild das Ende von Shakespeares Othello neu: Während in der Tragödie der schwarze Held, getrieben durch die Manipulation des rassistischen Iago, Othello seine Frau Desdemona tötet und danach sich selbst, wird hier Iago (alias Trump) zum Opfer.

 

Barack Obama als gepeinigter Antonius. Hier spricht die Künstlerin eine der Verschwörungs-Theorien an, die Obama die Präsidentschaft abspricht. Weil er angeblich kein in den USA geborener Staatsbürger sei, wie es die Verfassung verlangt. Walker zeigt ihn hier als Gepeinigten, der wie der heilige Antonius von Ungeheuern, Dämonen und Teufeln gequält wird.

 

 

>mehr über den heiligen Antonius

 

 

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Fotos Ausstellung

 

 

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