Ist er Italiener? Österreicher? Schweizer?
Weder noch. Er ist staatenlos, und weil er keine Papiere hat, kann er nicht reisen. Er muss sich von seinem Kunsthändler informieren lassen, was gerade so los ist in der Welt der Kunst. Und welche Malstile zur Zeit in Mode sind.
Giovanni Segantini, Selbstporträt
1893. Kunstmuseum St. Gallen.
Geboren wird er als Giovanni Batista Emanuele Maria Segantini in Arco am Gardasee. Klingt nach Italien, war aber um 1858 österreichisch. Seine Mutter stirbt früh, sein Vater ist Alkoholiker. Giovanni kommt zu Irene, einer Stiefschwester. Das geht nicht gut, Giovanni reisst immer wieder aus. Irene beantragt bei den Innsbrucker Behörden, Giovanni die österreichische Staatsangehörigkeit zu entziehen. Das geschieht tatsächlich, Giovanni ist fortan staatenlos.
1870 – da ist er erst 12 Jahre alt – wird er ohne Papiere aufgegriffen und landet in einer Erziehungsanstalt. Dort lernt er das Handwerk eines Schuhmachers. Ein Geistlicher erkennt Giovannis zeichnerisches Geschick. Nun darf er zeichnen und modellieren. 1873 kann er die Erziehungsanstalt verlassen und in Mailand bei einem Maler von Heiligenfahnen und Transparenten arbeiten. Dieser bildet ihn weiter aus.
1875 schreibt er sich an der Kunstakademie Brera in Mailand ein. Sein Talent fällt auf, man will ihm einen Preis verleihen. Aber den bekommt er nicht, weil er kein Italiener ist.
1880 bezieht er sein erstes Atelier in Mailand. Hier lernt er die 17-jährige Bice kennen, die zuerst sein Modell wird, dann seine Frau. Heiraten können die zwei nicht, da die Papiere fehlen. Sie ziehen nach Pusiano und bekommen dort zwei Söhne. Die Kunsthändler Vittorio und Alberto Grubicy nehmen in unter Vertrag.
1886 lässt er sich in Savognin nieder. Es entstehen grosse Werke vom Dorf- und Alpleben. Landschaft, Tiere, Menschen. Reisen darf er nicht, aber seine Werke ziehen um die Welt. 1889 ist er in der italienischen Abteilung auf der Weltausstellung in Paris vertreten, und das Bild «Kühe an der Tränke» von 1888 wird mit der Goldmedaille ausgezeichnet. Eine erste Segantini-Retrospektive findet 1891 in der Galerie Grubicy in Mailand statt.
1894 lässt sich die Familie Segantini in Maloja im Oberengadin nieder. Inzwischen wird Segantini von den Kunsthändlern Bruno und Paul Cassirer sowie Felix Königs aus Berlin vertreten.
Sein ganz grosses Projekt, das «Triptychon der Natur», kann er nicht verwirklichen. Es hätte auf der Weltausstellung 1900 in Paris präsentiert werden sollen. Er arbeitet daran bis zur Erschöpfung und stirbt 1899 im Alter von nur 41 Jahren. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: «Voglio vedere le mie montagne».
Titelbild (Ausschnitt)
Giovanni Segantini (1858-1899).
La vanità (Die Eitelkeit), 1897.
Kunsthaus Zürich.