Milano: Museo del Novecento


Hier wird italienische Kunst des 20. Jahrhunderts präsentiert. Und wieso heisst das Museum Novecento, also neunhundert? Ganz einfach: Die Italiener lassen die ersten tausend Jahre weg und reden dann statt von 1900 von neunhundert. Dann muss man nur noch wissen, dass in Italien das 20. Jahrhundert als 19. Jahrhundert bezeichnet wird, also das Jahrzehnt, das mit dem Jahr 1900 beginnt, äh, nein, mit neunhundert... also novecento. Alles klar?

 

 

Das Museo del Novecento direkt an der
Piazza del Duomo in Milano.

 

 


Das Museo del Novecento existiert erst seit 2010, konnte sich aber dennoch einen prächtigen Ort sichern: direkt neben dem berühmten Mailänder Dom.

 

 

Blick aus dem 3. Stock auf den Dom.
Neon-Installation von Lucio Fontana.

 

 

Die Sammlung erstreckt sich über drei Ebenen. Zu sehen sind Werke der Avantgarde, der PopArt, der Arte Povera und vor allem des italienischen Futurismus.

 

Dieser hatte seine Blüte vor dem 1. Weltkrieg, als eine aufmüpfige Gruppe um den Dichter Tommaso Marinetti 1909 ihr so genanntes «Manifest» veröffentlichte.

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Der wichtigste künstlerische Vertreter dieser Bewegung ist Umberto Boccioni (1882-1916), dessen Werke in anderen Museen eher selten zu finden sind. Hier im Novecento sind ganze Säle mit seinen abstrakten Werken gefüllt. Und auch seine berühmteste Skulptur aus dem Jahr 1913 ist zu sehen: «Forme uniche della continuità nello spazio». Sie verkörpert sozusagen den Futurismus und ist auch in der MoMA in New York ausgestellt.

 

 

Umberto Boccioni (1882-1916).

Stati d'animo (I) - Quelli che restano, 1911.

Museo del Novecento Milano.

 


Auch all die anderen italienischen Künstlergrössen des 20. Jahrhunderts sind im Novecento zu sehen, wie etwa Giorgio de Chirico, Gino Severini, Giacomo Balla, Giorgio Morandi, Amedeo Modigliani, Carlo Carrà oder Marino Marini. Und dazu internationale Meister wie Pablo Picasso, Georges Braque, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Henri Matisse.

 

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Marino Marini (1901-1980).

Scenario, 1960. Novecento Milano.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Highlights der Sammlung

 

Umberto Boccioni (1882-1916), der Leader des Futurismus. «Forme uniche della continuità nello spazio», 1913.

 

 

Carlo Carrà (1881-1966). Il cavaliere rosso, 1913. Museo del Novecento Milano.

 

 

Giacomo Balla (1871-1958). Automobile e velocità e luce, 1913.

 

Der Futurismus und seine «Kriegshelden»

 

Der italienische Futurismus hatte seine Blüte vor dem 1. Weltkrieg. Eine sich gegen alles auflehnende Gruppe um den Dichter Tommaso Marinetti (1876-1944) und den Maler/Bildhauer Umberto Boccioni veröffentlichte ihr «Manifest» um 1909. Darin geht es um die Verherrlichung des Krieges und klingt ziemlich deftig: «Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt – den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.»

 

Die Futuristen lehnten sich gegen die herrschende bürgerliche Ordnung auf. Sie unterstützten die Anarchisten und bekannten sich offen zur Gewalt. Sogar die Zerstörung von Bibliotheken, Akademien oder Museen stand auf ihrem Programm.

 

>mehr über das Manifest des Futurismus

 

Die Unterzeichner des Manifestes waren neben Umberto Boccioni der Schriftsteller und Maler
Carlo Carrà, Giacomo Balla, Luigi Russolo und Gino Severini. In einem weiteren Manifest äusserten sie sich zur Malerei. In diesem lehnten die Künstler klassische Motive ab und bezeichneten die Aktmalerei als widerwärtig. Sie strebten nicht mehr das Abbild eines Ereignisses an, sondern die «Darstellung der Erlebniswelt des Künstlers».

 

Gepriesen wurde neben dem Patriotismus und dem Krieg auch die Schönheit der Geschwindigkeit, Rennwagen, aufheulende Motoren und Flugzeuge, «deren Propeller wie Fahnen im Wind knattern». Auch die Darstellung von Bewegungsabläufen spielte bei den Futuristen eine wichtige Rolle, hier Beispiele von Carlo Carrà und Giacomo Balla.

 

 

   

 

Umberto Boccioni (1882-1916). Studio di figura femminile, 1911. Novecento Milano.

 

Umberto Boccioni – Kopf des Futurimus

 

Boccioni studiert ab 1901 in Rom Design in der Accademia di Belle Arti. Von seinem Lehrer Giacomo Balla erlernt er zunächst den Divisionismus, dann entdeckt er in Paris den Impressionismus. In Venedig befasst er sich 1906 mit Aktstudien, dann zieht er nach Mailand um. Dort lernt er die Futuristen Russolo und Filippo Tommaso Marinetti kennen. Er ist Mitunterzeichner des >futuristischen Manifestes von 1909 und des Manifestes der futuristischen Maler von 1910. Zwei Jahre später werden seine Werke auf der «Ersten Futuristischen Ausstellung» in der Galerie Bernheim-Jeune in Paris ausgestellt, zusammen mit jenen von Carrá, Russolo und Severini. Boccioni interessieren vor allem die Zusammenhänge zwischen Objekt und dem umgebenden Raum. Seine berühmteste Skulptur ist «Forme uniche della continuità nello spazio» von 1913, Bild ganz oben.

 

 

Gino Severini (1883-1966). Bohémien jouant l'accordéon, 1919.

 

Gino Severini: Futuristisch-kubistisch

 

Er ist zwar auch ein Unterzeichner des Futurismus-Manifestes von 1909 und nimmt 1912 an den ersten futuristischen Ausstellungen in Paris, London und Berlin teil. Doch dann werden seine Werke mehr und mehr vom Kubismus inspiriert. Nun sucht er eine Verbindung zwischen Futurismus und Kubismus.


In den 1920er-Jahren verändern sich Severinis Ansichten über Kunst allerdings. Picasso ist und bleibt eine wichtige Inspirationsquelle für ihn, dennoch wendet er sich vom Kubismus ab und wenig später auch vom Futurismus.

 

 

Giorgio de Chirico (1888-1978). Il figliol prodigo, 1922.

 

Giorgio de Chirico: Der verlorene Sohn

 

De Chirico gehört nicht zu den Futuristen, aber zur Avantgarde. 1916 gründet er zusammen mit Carlo Carrà in Ferrara die «Scuola metafisica».

 

>mehr über die Pittura metafisica

 

Im Werk «Il figliol prodigo» nimmt de Chirico das biblische Gleichnis des verlorenen Sohnes auf und interpretiert es ganz speziell. De Chirico zeigt den barmherzigen Vater als steinernes Abbild, der seine Hand auf die Schulter einer Schaufensterpuppe legt, die den verloren geglaubten und wiedergefundenen Sohn darstellt. Puppen spielen in de Chiricos Werk eine immer wiederkehrende Rolle.

 

Im Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt Jesus die Geschichte der beiden Söhne, von denen sich einer ungerecht behandelt fühlt.

 

>mehr über das Gleichnis des verlorenen Sohns

 

>mehr über Giorgio de Chirico

 

 

Lucio Fontana (1899-1968). Signorina seduta (Donna allo Specchio), 1934.

 

Lucio Fontana, der Alleskönner

 

Geboren in Argentinien, ist er vor allem in Mailand tätig und hinterlässt hier seine wichtigsten künstlerischen Spuren. Er studiert an der Accademia di Brera und hat auch seine erste Ausstellung in Mailand. Sein Kunstschaffen ist extrem vielseitig. Eigentlich ist er vor allem Bildhauer und Maler, entwickelt sich aber später in alle Richtungen: 1934 schliesst er sich der Pariser Künstlergruppe «Abstraction-Création» an, 1948 gründet er die Gruppe «Movimento spaziale», die sich für Raumkunst stark macht, später befasst er sich mit Lichtkuben und Neon-Rauminstallationen.

 

 

Marino Marini (1901-1980). Skulptur Bagnante, 1930 et Gemälde Scenario, 1960.

 

 

 

Marino Marini – starke Sammlung

 

Das Museo del Novecento zeigt eine eindrückliche Sammlung von Marini-Skulpturen und -Gemälden. Sein Lieblingsthema sind ja Pferde und Reiter...

 

...aber im Novecento in Mailand sind auch bemerkenswerte Gemälde und Skulpturen von nackten Frauen zu sehen. Zu Mailand hat Marini eine gute Beziehung: hier bekommt er 1932 seine erste grosse Einzelausstellung und 1941 übernimmt er einen Lehrstuhl an der Accademia di Brera.

 

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Pablo Picasso (1881-1973). Femme nue (Studie), 1907.

 

Auch internationale Grössen

 

Der Schwerpunkt der Sammlung im Museo del Noveconto liegt ganz klar bei den italienischen Künstlern, aber es werden auch Werke von berühmten Grössen der Moderne gezeigt.

 

Von Pablo Picasso ist eine interessante Studie aus dem Jahr 1907 zu seinem Meisterwerk «Les Demoiselles d'Avignon» zu sehen.

 

Von Henri Matisse eine Version seiner berühmten «Odalisques», mehrere Werke von Paul Klee, eine der abstrakten «Kompositionen» von Kandinsky, dazu Kubistisch-abstraktes von Georges Braque und Fernand Léger.

 

 

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Fotos / Diashow