Retrospektive «Niki de Saint Phalle»
Kunsthaus Zürich vom 2.9.22 bis 8.1.2023.

 

Niki de Saint Phalle (1930-2002)
– das Gesamtkunstwerk


Ausstellungen sind eine praktische Sache – da werden einem die Kunstwerke sozusagen auf dem Silbertablett serviert. Um die im Kunsthaus Zürich gezeigten Arbeiten Nikis zu sehen, müsste man sonst durch halb Europa reisen, von Wien bis Brüssel und von Stockholm bis Nizza...

 

Die Werke stammen aus berühmten Museen und Sammlungen. Die Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle >Schirn Frankfurt ausgerichtet wird, zeigt gut hundert Werke aus Nikis weitgefächertem Schaffen in einem Zeitraum von 1964 bis 2000 – von Konzeptkunst über Zeichnungen und Gemälde bis hin zu ihren berühmten Nanas.

 

 

Niki de Saint Phalle 1976 im Alter
von 45 Jahren. Foto Leonardo Bezzola,

Fotosammlung Kunsthaus Zürich.

 

 

 

Ausstellungsplakat.

 

 

 

 

Niki de Saint Phalle (1930-2002).

Nana rouge jambes en l'air, 1968.

Leopold-Hoesch-Museum, Düren.

 

 

 

Niki de Saint Phalle (1930-2002).
Trilogie des obélisques, 1987.

MAMAC Nice.

 

 

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Niki de Saint Phalle (1930-2002).

Nana mosaïque noire, 1999.

Sammlung Würth.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Niki de Saint Phalle (1930-2002) und Larry Rivers. Zeichnung Clarice, 1964-65. David und Isabelle Lévy Collection, Brüssel.

 

Niki de Saint Phalle (1930-2002). Black Pregnant Nana, 1968. Kunsthalle Mannheim.

 

 

 

Wie Niki de Saint Phalle auf die Nanas kam

 

Eine Trouvaille in der Ausstellung ist diese farbenfrohe Zeichnung aus den Jahren 1964-65, auf der die schwangere Freundin Nikis, Clarice Rivers, abgebildet ist. Es ist eine Collage, die mit Farb- und Pastellstiften und mit Tinte zusätzlich bearbeitet wurde. Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Künstler Larry Rivers (1923-2002), Clarice's Ehemann.

 

Das Besondere an dieser Collage: Niki ist vom Bild der schwangeren Frau so fasziniert, dass sie eine Eingebung hat: «Wie wäre es, wenn ich solche fülligen Frauenfiguren produzieren würde?», fragt sie sich. Niki stellt daraufhin ihre erste Frauen-Skulptur aus Drahtgeflecht und Pappmaché her. Noch aber hat sie dafür keinen Namen.

 

Im Französischen steht Nana für Tussi, für naive Dummerchen. So nennt sie ihre neue Kreation. Und die in emanzipatorischen Dingen kämpferisch veranlagte Künstlerin verfolgt damit gleich ein Ziel: Sie will damit jenen Männern den Kampf ansagen, die Frauen als Sexobjekte oder hirnlose Gebärmaschinen betrachten.

 

Fortan tauchen ihre Nanas überall auf: In Zeichnungen, in Illustrationen, und später als Skulpturen in verschiedenen Materialien und in allen Grössen auf öffentlichen Plätzen. Der Erfolg ist überwältigend. Überall auf der Welt stehen heute ihre Nanas, sie sind zum Markenzeichen der Künstlerin geworden.

 

 

Niki de Saint Phalle (1930-2002) und Jean Tinguely. Modell für Hon, 1966. Moderna Museet Stockholm.

 

Niki de Saint Phalle (1930-2002) und Jean Tinguely. Hon, 1966. Foto Hans Hammarskiöld Heritage. Moderna Museet Stockholm.

 

 

Die grösste aller Nanas: 25 Meter!

 

Für das Moderna Museet in Stockholm baut die Künstlerin 1966 zusammen mit Per Olov Ultvedt und ihrem künftigen Gatten Jean Tinguely eine 25 Meter grosse liegende Riesen-Nana, neun Meter breit und sechs Meter hoch. Sie ist begehbar. Das Publikum kann in sie eintreten – und zwar durch eine symbolische Vagina. 

 

In der rechten Brust befindet sich eine Milchbar und im Arm kann man einen Film von Greta Garbo anschauen. Zudem ist Hon, so heisst diese Nana (schwedisch für «sie»), schwanger, was mit einem dicken Bauch in Form eines Goldfischbeckens symbolisiert wird.

 

Über 100'000 BesucherInnen gaben Hon in Stockholm die Ehre. Nach der Ausstellung 1966 wurde die Skulptur zerstört.

 

Das Modell der Hon ist hingegen erhalten geblieben. Es ist im Besitz des Moderna Museet Stockholm und in der Retrospektive 2022 im Kunsthaus Zürich ausgestellt (Bild oben).

 

 

Niki de Saint Phalle (1930-2002). Tea Party ou Le Thé chez Angelina, 1971. Mumok Wien.

 

 

Detail.

 

 

«The devouring mothers»

 

In den 1970er- und 1980er-Jahren entstehen grosse Werkgruppen und Projekte, vor allem Nanas. Und auch Nikis Hauptwerk: Giardino dei Tarocchi heisst ihr Skulpturenpark in der Toscana, den sie zusammen mit Jean Tinguely und einem Team von Handwerkern aufbaut – heute eine vielbesuchte Touristenattraktion in Capalbio.

 

>mehr über den Giardino dei Tarocchi

 

Noch vor dieser Zeit entsteht eine Gruppe von Plastiken mit dem Titel «Devouring Mothers» (etwa «Verschlingende Mütter»). Das wichtigste dieser Werke ist Tea Party (Le Thé chez Angelina) von 1971. Zwei unförmige Frauengestalten mit skurrilen Brüsten gestikulieren rund um einen Tisch in ihrer Mitte. Auf einem Teller liegt ein silbernes Spielzeugkrokodil, dessen Hinterleib mit einem Messer abgetrennt wurde... was immer das auch bedeuten soll. Es darf gerätselt werden.

 

 

Niki de Saint Phalle (1930-2002). La Mariée à Cheval, 1997. Stiftung KKG Winterthur.

 

Detail.

 

La mariée à Cheval

 

Ein weiteres typisches Werk der Frau mit der grenzenlosen Fantasie: Das Pferd ist über und über mit goldfarbenen Spielzeugsachen bedeckt. Pferde, Delphine, Drachen, Krokodile, Puppen, Autos, Flugzeuge, Raketen, Trompeten, Musikinstrumente, Fantasiefiguren, Werkzeuge, Totenköpfe – alles, was man sich nur denken kann. Und über allem thront eine verschleierte goldene Braut.

 

Darüber ein Text (der mit der Skulptur nichts zu tun zu haben scheint – oder doch?):

 

«I killed Papa, I shot Mama dead, I chopped his head off, I had to do it. Oh poor Mama, don't be cross, you were so lovely and good. Your new dress splattered with blood, the stains will never come out, I had to do it. I am a poor orphaned child, have no parents now. They gave me so much. And now they have to freeze in the fridge, I had to do it

 

 

Niki de Saint Phalle (1930-2002). Skull, Meditation Room, 1990. Sprengel Museum Hannover.

 

 

Totenkopf-Raum zum Meditieren

 

Wer es nicht auf Anhieb schafft, die rätselhaften Aussagen von Nikis Werken zu verstehen, der kann in diesem prächtigen Meditationsraum mit goldenem Dachhimmel und einem monströsen farbigen Totenkopf über die Fantasiewelt der Künstlerin sinnieren. Und versuchen, ihren Gedankengängen (vielleicht) auf die Schliche zu kommen.

 

Einfach ist das nicht. Aber man muss ja auch nicht immer alles verstehen.

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Retrospektive 2022 Niki de Saint Phalle

 

 

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