Ausstellung «Augusto Giacometti – Freiheit|Auftrag», 27.1.24 bis 20.5.2024. Aargauer Kunsthaus Aarau.

 

 

Augusto Giacometti (1877-1947)

 

Wo steht Augusto in der bekannten Künstlerdynastie der Giacometti? Er ist ein Cousin von Giovanni – dem Vater des berühmtesten Giacometti: Alberto.

 

>mehr über die Giacometti-Familie

 

Augusto kommt am 16. August 1877 im Bergeller Bergdorf Stampa im Kanton Graubünden zur Welt. Das kleine Bergdorf ist nicht seine Welt – es zieht ihn
in die Stadt. Mit 17 Jahren macht er sich auf nach Zürich und besucht dort die Kunstgewerbeschule. 1896 schliesst er mit einem Zeichendiplom ab.

 

 

Augusto Giacometti mit 33 Jahren.

Selbstbildnis, 1910. KKG Winterthur.

 

 

Es ist die Zeit des >Jugendstils und der Ornamente –

das interessiert ihn so sehr, dass er beschliesst, seine Studien in Paris weiterzuführen. An der École Nationale des Arts Décoratifs sowie in der >Académie Colarossi. Dann wird er Schüler von Eugène Grasset an der École Normale d'Enseignement du Dessin. Natürlich besucht er in Paris auch den Louvre.

 

Die italienische Frührenaissance soll ihn besonders beeindruckt haben. Also zieht er 1902 nach Florenz, wo er sich speziell mit >Fra Angelico beschäftigt.

 

1908 bis 1915 führt er einen Lehrauftrag für figürliches Zeichnen an der privaten Accademia Internazionale di Belle Arti aus. 1910 wird er in die Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten (GSMBA) aufgenommen.

 

Als dann der Erste Weltkrieg ausbricht, geht er zurück in die Schweiz. In Zürich bekommt er Aufträge für Wand- und Glasmalereien. 1917 macht er Bekanntschaft mit den Zürcher Dadaisten Tristan Tzara, >Hans Arp und
>Sophie Taeuber-Arp. Einen (wirtschaftlich) wichtigen Kontakt knüpft er zur selben Zeit zum Kunstsammler Alfred Rütschi. Dieser wird sein Mäzen und erwirbt mehrere seiner Werke.

 

 

Augusto Giacometti, Die Freude, 1922.
Privatsammlung Schweiz.

 

 

1918 tritt er der Basler Künstlergruppe «Das Neue Leben» bei. Diese basiert auf einer Initiative des Malers Fritz Baumann (1886-1942) und befasst sich mit expressionistischen, kubistischen, futuristischen und neusachlichen Tendenzen.

 

Zusammen mit >Alice Bailly nimmt er ein Jahr später an der 8. Dada-Soirée im Zürcher Kaufleutensaal teil. Im selben Jahr wird er in die Freimaurerloge «Modestia cum Libertate» aufgenommen – was er aber zeitlebens unter Verschluss hält. >mehr über die Freimaurer

 

Ab 1921 folgt ein Jahrzehnt mit ausgedehnten Reisen nach Italien (Venedig, Mailand, Turin, Neapel), dann nach München, Berlin, Oslo, Kopenhagen, Hamburg, Amsterdam, London.

 

In London ist er tief beeindruckt von >William Turner
und von >Dante Gabriel Rossetti. In den 1930er-Jahren reist er nach Tunis, Kairouan, Algier und weiteren Orten in Nordafrika. Auf diesen Reisen – oder dann später im Atelier – schafft er bemerkenswerte Gemälde.

 

1925 entsteht eines seiner wichtigsten Werke: Die Gewölbe- und Wandmalereien im Amtshaus I in Zürich, besser bekannt als «Blüemlihalle» im Polizeiposten der Uraniawache. >mehr

 

1933 kann in Paris eine viel beachtete Ausstellung in der Galerie Bernheim-Jeune ausrichten. Im gleichen Jahr schafft er Chorfenster für das Zürcher >Grossmünster.

 

1933 wird er zum Mitglied der Eidgenössischen Kunstkommission gewählt, 1939 dann zu deren Präsidenten.

 

1934 erscheint sein stark beachteter Vortrag «Die Farbe und ich» im Verlag Oprecht & Helbling in Zürich. Das trägt dem Künstler den Titel eines «grossen Koloristen» und «Meisters der Farben» ein.

 

 

Augusto Giacometti – Meister der Farben.
Selbstbildnis I, 1947. Kunstmuseum Bern.


 

1942 erkrankt er, muss zur Behandlung ins Spital. Seine letzten Jahre verbringt er mit dem Schreiben seiner Biografie, die den Titel trägt «Von Stampa nach Florenz».

 

Augusto Giacometti stirbt am 9. Juni 1947 im Alter von 70 Jahren an einem Herzinfarkt und wird in Stampa beigesetzt. Auf seinem Grabstein steht: «Qui riposa il maestro dei colori» – «Hier ruht der Meister der Farben».

 

 

 

 

>mehr über die Künstlerdynastie der Giacometti

 

>mehr über Kunsthaus Aarau

 

 

 

 

 

 

 

Titelbild (Ausschnitt)

Augusto Giacometti (1877-1947).

Narziss, 1905. KKG Winterthur.

 

 

 

 

 

 

 

Auftragsarbeit für das Amtshaus Zürich,
1923-25.

 

 

Lust am Malen. Augusto Giacometti (1877-1947). Gladiolen und Rittersporn, 1933. Privatbesitz.

 

Zur Ausstellung

Augusto – der andere Giacometti

 

Eigentlich würde man denken, dass alle «anderen» Giacometti im Schatten des Superstars >Alberto standen. Bei Augusto trifft das aber nicht zu. Erstens kommt er ein Vierteljahrhundert früher zur Welt und zweitens ist er schon tot, als Alberto mit seinen dürren Figuren zum international anerkannten Star wird. In der heutigen Wahrnehmung stehen aber die «anderen» Giacometti in der zweiten Reihe.

 

Doch nun haben sich zwei Institutionen gefunden, um diesen «Missstand» zu lindern: Das SIK-ISEA (Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft) und das Kunsthaus Aarau. Mit einer umfassenden Ausstellung zugunsten eines «anderen» Gliedes der >berühmten Künstlerdynastie aus dem Bergell: Augusto Giacometti.

 

Die Ausstellung als Wow-Erlebnis

 

Sie präsentiert Augusto, den «Meister der Farben», als überraschend vielseitigen Künstler und zeigt eine Reihe von Werken, die bisher nur Insidern bekannt waren.

 

Die Präsentation ist geschickt aufgeteilt: Auf einer Seite stehen Werke, die er im Auftrag geschaffen hat – auf Bestellung von Privatpersonen oder durch die öffentliche Hand. Wie zum Beispiel eines seiner bedeutendsten Werke, die Gewölbe- und Wandmalereien im Amtshaus I in Zürich, besser bekannt als «Blüemlihalle» im Polizeiposten der Uraniawache. >mehr

 

Die zweite Abteilung unter dem Titel Freiheit zeigt, wie Augusto Giacomettis Werke daher kommen, wenn er seiner Lust am Malen freien Lauf lassen konnte. Neben seinen berühmten Blumenbildern tauchen dabei Gemälde auf, die man so nicht gekannt hat: Farbkompositionen und Farbfantasien, grossartige Reisebilder im Stil der Moderne, Studien und Spielereien mit dem Symbolismus.

 

 

   

 

Augusto Giacometti (1877-1947). Ornament von blühenden
Pflanzen, 1896. Privatsammlung.

 

 

 

1900: Ornamentales

 

Der 17jährige Augusto begeistert sich während seiner Ausbildung in der Kunstgewerbeschule Zürich besonders für den Jugenstil, der um die Jahrhundertwende in England, Frankreich und Wien gross in Mode ist. Giacometti mag vor allem die ornamentale Form. Um diese zu erreichen, reduziert er Pflanzenblätter und Blüten zu einem strukturellen Schema, wie dieses Frühwerk von 1896 aus seiner Studienzeit belegt.

 

Wie gut sich das ornamentale Muster für eine Tapete eignet, zeigt die Ausstellung: Die Wand, an der das Bild hängt, übernimmt das Schema und führt es grossflächig weiter.

 

 

Augusto Giacometti (1877-1947). Narziss, 1905. Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte, Winterthur.

 

1905: Frühwerke im Jugendstil

 

In der École Nationale des Arts Décoratifs in Paris experimentiert Giacometti weiter mit >Jugendstil
und dem Symbolismus. Es enstehen dabei auch Gemälde im Grossformat wie «Die Nacht» (1903, Kunsthaus Zürich) oder «Narziss» (1905).

 

Diese Werke gelten auch heute noch als wichtige Beispiele für den Jugendstil in der Schweiz. Für Giacometti bedeuten sie eine Art Durchbruch zur Anerkennung als Künstler.

 

 

Augusto Giacometti (1877-1947). Fantasia
coloristica, 1913. Kunstmuseum St.Gallen.

 

Augusto Giacometti (1877-1947). Gestaltung II,1918. Kunstmuseum Chur.

 

1910: Abstrakte Farbfantasien

 

Augusto Giacometti löst sich in den 1910er-Jahren mehr und mehr vom Gegenständlichen und macht den Schritt hin zu Farbkompositionen und -Fantasien, die ganz und gar ungegenständlich sind.

 

In diesen Werken geht es dem Künstler um eine autonome Bildwirkung, die ausschliesslich auf der Ausdruckskraft der Farbe fusst. Wie auch das Werk «Die Freude» von 1922 (Spalte links).

 

Die Begeisterung für Farbe lässt ihn fortan nicht mehr los. Sie gipfelt 1933 in seinem vielbeachteten Vortrag
«Die Farbe und ich»
, in dem Giacometti über seine
Forschungen rund um die Farbwirkung berichtet. Er kommt dabei zu sonderbaren Erkenntnissen bei Komplementärfarben in der Natur. Zum Beispiel stellt er fest, dass die «farbige Erscheinung von Tieren mit der Farbe ihrer jeweiligen Umgebung zusammen hängt».

 

Sein stark beachteter Vortrag «Die Farbe und ich» von 1933 – ein Jahr später als Druck im Verlag Oprecht & Helbling Zürich erschienen – trägt dem Künstler den Ehrentitel «Meister der Farben» ein.


 

Augusto Giacometti (1877-1947).
Paris, 1927. Privatsammlung.

 

 

Augusto Giacometti (1877-1947). Hamburg, 1927. Privatbesitz.

 

 

Augusto Giacometti (1877-1947). Sidi-Bou-Saïd, 1932. Kunstmuseum Bern.

 

 

1920/30: Reisen, Reisen, Reisen


Die Sommermonate verbringt der Künstler meistens in seiner Bergeller Heimat, die Weihnachts- und Neujahrszeit in Paris. Dazwischen reist er häufig nach Italien, am liebsten nach Venedig und Florenz. Aber auch nach München, Berlin, Stockholm, Oslo, Kopenhagen, Amsterdam und Hamburg. Er kann dabei auf seinen Mäzen Alfred Rütschi zählen, der ihm immer wieder Reisen finanziert.

Giacomettis Gemälde sind keine «fotografischen» Abbildungen. Auch bei Städtebildern geht es ihm um
Farbe und Stimmung.

 

Paris (1927) besteht aus Lichtern und Leuchtreklamen – der Künstler nimmt die Ambiance in von den Gegenständen losgelösten Farben wahr.

Dem Hamburger Bahnhof (1927) verpasst er gänzlich unnatürliche Fantasiefarben, die in einer unscharfen Farbwolke daher kommen.

 

Verschwommen wirkt auch das Bild der tunesischen Stadt Sidi-Bou-Saïd (1932). Es ist das Werk eines Meisters: Von ganz nahe betrachtet, erkennt man nichts – nicht einmal Pinselstriche. Erst aus der Distanz gesehen treten die Konturen der maurischen Häuser hervor. Augusto wäre aber nicht Augusto, wenn er die Gebäude so malen würde, wie das weltberühmte Sidi-Bou-Saïd wirklich aussieht – mit seinen typischen weiss-blauen Häusern. Für den Bündner Künstler erstrahlt die Stadt in zartem Rosa und Gelb...

 

 

Augusto Giacometti (1877-1947). Entwurf zur Gewölbemalerei im Amtshaus I der Stadt Zürich, 1922.

 

 

Augusto Giacometti (1877-1947). Entwurf zu den Malereien im Amtshaus I, 1925.
 

 

Die Ausgestaltung des Amtshauses Zürich

 

Ein Prestigeauftrag für Augusto Giacometti, der ihm grosse Anerkennung einträgt. Von 1923 bis 1926 malt der Künstler mit seinen «Gehilfen» Giuseppe Scartezzini (1895–1967), Jakob Gubler (1891–1963) und Franz Beda Riklin (1878–1938) das Gewölbe und die Wände der mehrschiffigen Eingangshalle aus.

 

Der Auftrag steht im Zeichen der Arbeitsbeschaffung, eine Massnahme der Zürcher Stadtregierung, um den Kunstschaffenden in der wirtschaftlich schwierigen Zeit unter die Arme zu greifen. Den Auftrag erhält Giacometti aber nicht «einfach so», eine Wettbewerbsjury wählt ihn unter sechs Konkurrenten aus.

 

Die Ausstellung zeigt eine Reihe von Entwürfen, die Giacometti ab 1922 fertigt. Eigentlich möchte er die Gewölbe mit goldenen Blumen versehen, aber die Behörden finden das etwas übertrieben.

 

Schliesslich darf der Künstler aber mit Blumen-Ornamenten arbeiten. Diese reichen immerhin noch aus, dem Raum den Spitznamen «Blüemlihalle» zu verpassen. Dargestellt sind auch Männerfiguren in verschiedenen Berufen – von Maurern über Zimmerleute bis hin zu Astronomen.

 

>mehr über die «Blüemlihalle»

 

 

 

Augusto Giacometti (1877-1947). Frühling, 1946. Kunsthaus Zürich.

 

Augusto Giacometti (1877-1947). Herbstblumen, 1941. Privatbesitz.

 

Augusto Giacometti (1877-1947). Amaryllis, 1947. Kunsthaus Aarau.

 

 

Augustos Vorliebe: Blumen

 

Zeitlebens widmet sich Giacometti den Blumenstills. In seinen Frühwerken sind es oft Naturblumen, dann folgen Vasenstills, schliesslich kunstvoll gestaltete Bouquets mit dramatischen Hintergründen.

 

Auch bei der Interpretation von Blumen geht es ihm nicht um die natürliche Wiedergabe der blühenden Pracht, sondern um die leuchtende Farbwirkung und den Farbauftrag, der die klaren Umrisse auflöst: zugunsten von Farbtupfern, die diffus ineinander übergehen.


Wenige Tage vor seinem Tod am 9. Juni 1947 stellt Giacometti sein letztes Werk fertig – es ist ein Blumenbild aus kräftigen, leuchtenden Farben.

 

Es heisst Amaryllis (1947) und zeigt zwei überdimensioniert scheinende Pflanzen in ziemlich kleinen Tontöpfen. Die üppigen Amaryllis-Blüten in rotoranger Farbe kontrastieren mit schmalem grünem Blätterwerk. Auch hier vollendet der Künstler sein Werk mit einem arrangierten Hintergrund: Es ist ein rosafarbener Vorhang, der die Leuchtkraft der Blüten noch verstärkt.

 

Sein letztes Bild – Amaryllis – verwendet der Künstler als Zahlungsmittel: Es geht an den Arzt, der ihn 1947 behandelt. 2021 gelangt das Werk durch eine Schenkung in die Sammlung des Aargauer Kunsthauses Aarau.

 

 

more

 

Ausstellung Augusto Giacometti 2024

Werke chronologisch geordnet

 

 

>Ausstellungsführer Augusto Giacometti, Aarau 2024